Was gibt es heute? Bob – oder: Das Augustinerpapstgericht
Werden die Augustiner ihn noch ‚Bob‘ nennen, nachdem er Papst geworden ist? ‚Augustiner‘ heißen ja nicht nur Bierflaschen der heute noch bestehenden ältesten Brauerei Münchens, sondern die Mitglieder des gleichnamigen Bettelordens. Aber es gibt einen historischen Zusammenhang, der auf der Website der Firma angedeutet wird: „Nachdem die Augustiner Eremiten“, so hieß der Orden einmal, „1294 auf dem Haberfeld vor den Toren Münchens ein Kloster gegründet hatten, wurde zu Beginn des 14. Jahrhunderts auch eine Brauerei aufgebaut, die für die Ökonomie der Mönche unerlässlich war“. Schaut man sich die gefüllten Biergläser auf der Website an, fällt die vatikanische Farbnote auf: frisches Strohgelb und eine weiße Schaumkrone. Selbst beim „Augustiner Alkoholfrei Hell“ ist das so. Es entsteht „Dank der ausgeklügelten Kombination aus traditioneller Verfahrensweise und modernster Anlagentechnik.“ Dem Augustinerorden entstammt außer dem neuen Papst bekanntlich auch der Reformator Martin Luther. Wird der neue Papst auch ein Reformator werden?
Er ist auch der erste US-amerikanische Papst und – anders als Franziskus – Kirchenrechtler. Er ist der erste Papst, der jünger ist als ich, was freilich ohne Kulturbedeutung ist. Mit Pater Lukas Schmidkunz kann ich nicht mithalten. Leo XIV. sei „der erste Papst, den ich mal geduzt hab“, sagt nämlich der heutige Provinzial der deutschen Augustiner. Der wird es wissen, denke ich: Wird er auch ein Reformator werden? Pater Schmidkunz meint, dass große Reformen oder gar radikale Richtungswechsel von Leo XIV. nicht zu erwarten seien: „Ich glaube nicht, dass er viel zurückdrehen wird von dem, was Papst Franziskus angestoßen hat. Aber er wird auch nicht mit großen Schritten vorpreschen.“ So werde er die Risse in der Kirche, die sich auch seinerzeit im Augustinerorden Martin Luthers und in der damaligen Kirche aufgetan haben, ja zur Kirche gehören, seit es sie gibt, nicht vergrößern, sondern auszubessern versuchen. Wird er auch unterschiedliche Strömungen in der Kirche ‚zusammenführen‘, d.h. ‚synodalisieren‘? Dazu hat sich der neue Papst, der ja mit Zweitnamen auch Francis heißt, mit Blick auf seinen Vorgängerpapst bekannt, wobei immer noch unklar bleibt, was das eigentlich heißen soll. Klar ist: Es ist nicht das deutsche Verständnis von ‚Synodalität‘.
Aber der neue Papst hat noch einen anderen Vorgänger, der Leo heißt: Leo XIII. wurde mit 68 Jahren Papst, Leo XIV. mit 69. Jener war der erste Papst, der als nächster unter dem konflikthaft erzeugten Unfehlbarkeitsdogma seines Vorgängers regierte, ohne freilich – trotz langer Regierungszeit – ein Dogma zu verkündigen. Aber „im Bewusstsein, dass Uns das Wort gebührt“, berief er sich auf die eigene Autorität, Ordnung im Großen und Kleinen des gesellschaftlichen Lebens zu schaffen: „Denn ohne Zuhilfenahme von Religion und Kirche ist kein Ausgang aus dem Wirrsale zu finden; da aber die Hut der Religion und die Verwaltung der kirchlichen Kräfte und Mittel vor allem in Unsere Hände gelegt sind, so könnte das Stillschweigen eine Verletzung Unserer Pflicht erscheinen“. In dieser hier zitierten ersten Sozialenzyklika (Rerum novarum) von 1891 setzt Leo XIII. sich nicht nur für ein „Gleichgewicht“ zwischen Kapital und Arbeit zur Überwindung des modernen Klassenkonflikts ein. Er entwarf auch ein patriarchalisches Gesellschaftsbild, das auf Ehe und Familie aufbaue. Jeder habe die Freiheit, „dem Rat Jesu Christi zu folgen, Jungfräulichkeit zu bewahren, oder sich durch das Eheband zu binden“, um durch „Mehren und Mehren“ dessen Hauptzweck zu erfüllen und eine Familie zu gründen. „Wie der Staat“ sei diese „im eigentlichen Sinne eine Gesellschaft, und es regiert selbständige Gewalt in ihr, nämlich die väterliche“. Die Kirche „als Vertreterin und Wahrerin der Religion“ verfüge „in den religiösen Wahrheiten und Gesetzen“ ein „mächtiges Mittel“, dieses Spiel der Kräfte zu regulieren. Leo XIV. wünschte bei seiner Erstpräsentation in traditioneller Papstmontur auf der Loggia des Petersdoms „Frieden“, Leo XIII. „Eintracht“: „Eintracht ist überall die Vorbedingung von Schönheit und Ordnung, ein fortgesetzter Kampf dagegen erzeugt Verwilderung und Verwirrung“.
Ja, der neue Papst hat offensichtlich von den Kardinälen den Auftrag erhalten, die von Franziskus ausgelösten Kämpfe und Verwirrungen auch in der Kirche zu überwinden. Er soll sie wohl eher institutionell neu stabilisieren, statt sie weiter zu revolutionieren. Dafür ist er nicht nur – anders als Franziskus – Mathematiker und Kirchenrechtler, also Experte der allgemeinen Logik und Sonderlogik der Kircheninstitution, er ist auch – ebenfalls anders als Franziskus – Teil der Kurie gewesen und mit den Führungs- und Leitungskräften der globalen Kirche vertraut. Wird er die Kurienkardinäle in eine Art Kabinettsdisziplin einbinden, wie es Hans Maier schon vor Jahren vorgeschlagen hat? Promoviert hat der heutige Papst seinerzeit über „Die Rolle des örtlichen Priors“ in seinem eigenen Orden, in Rom war er dessen Generalprior (2001-2013), ist also ganz und gar Augustiner. Der Leo-Papst denkt die Kirche und seinen Orden vom Management her, wozu auch die Orientierung an den Top-Theologen der kirchlichen Tradition gehört, nämlich Augustinus und Thomas von Aquin (+1275). Diesen Philosophen und Theologen hatte Papst Leo XIII. (gest. 1903) zum ‚authentischen Lehrer der Kirche‘ erklärt und die Erneuerung seiner Lehre, der Scholastik, angeordnet, die dann ‚Neuscholastik‘ genannt wurde. In diesem Geiste wurde auch jene erste Schrift der päpstlichen Sozialenzyklika, ‚Rerum novarum‘, verfasst, die sich freilich nicht wie andere Katholiken der damaligen Zeit in eine vormoderne Ständegesellschaft zurückträumte. Die kirchliche Ständegesellschaft wird der neue Leo-Papst nicht in Frage stellen lassen und Frauen wie verheiratete Männer aus dem patriarchal-zölibatären Stockwerk fernhalten. Augustinus, Thomas, Leo, Prior und Codex stehen für Tradition und Institution, Leo XIV. für eine noch auszuklügelnde Kombination aus traditioneller Verfahrensweise und modernster Anlagentechnik.