Was gibt es heute? Bund – oder: Das Gipfelgericht

Im Deutschen Bundestag tun sich Gipfel der Konfessionslosigkeit auf. Auf den ersten Blick scheint Nebel diese Wahrnehmung zu verstellen, denn unter den Abgeordneten wächst der Anteil der explizit Konfessionslosen nicht – wie in der Gesamtbevölkerung – zu einem ‚Berg‘, allenfalls zu einem ‚Hügel‘ heran, denn er stieg seit 1990 nur von 0,5 Prozent (1990) auf 10,2 Prozent (2021) und erhebt sich ab der jetzigen Wahlperiode auf 17 Prozent. Der Anteil der möglicherweise implizit Konfessionslosen, die keine Angaben zu ihrer Religionszugehörigkeit machen, ist dagegen weiter unter die Ein-Drittel-Marke gefallen: Von 38,1 Prozent in der 19. Wahlperiode auf 33,7 Prozent in der 20. Und auf 32,5 Prozent in der aktuellen 21. Wahlperiode. Die explizit und die – unterstellt – implizit Konfessionslosen zusammen machen somit etwa 50 Prozent aus, und das sind nun deutlich mehr als je zuvor. In der 19. Wahlperiode lag der bisherige Spitzenwert: 45.6 Prozent.

Blickt man auf die Anteile der explizit und implizit Konfessionslosen in den einzelnen Fraktionen des aktuellen Deutschen Bundestags, dann zeigt sich folgendes Gebirgspanorama: Den höchsten und kaum mehr übersteigbaren Berg bildet die Fraktion der Linken mit 87,5 Prozent Konfessionslosen (29,7% + 57,8%), gefolgt von der Fraktion der AfD mit 75,5 Prozent (28,5% + 47,0%). Beide Extremparteien kleben unter diesem Gesichtspunkt eng zusammen und bilden einen Doppel-Berg mit jeweils mehr als zwei Dritteln an Konfessionslosen. Deren Gipfel liegen schon deutlich über den Wolken der gesamtdeutschen Konfessionslosigkeit – dort muss die Freiheit wohl grenzenlos sein. Die Fraktion der Grünen lenkt das Gebirge dieser Konfessionsfreien noch nicht ins Tal, sondern schließt sich als eine weitere, wenn auch kleinere Erhebung von Konfessionslosen mit immerhin 64,7 Prozent (24,7% + 40,0%) an. Im Anschluss an diese ‚Drei Zinnen‘ tut sich in der Reihe talabwärts ein Graben von ca. 20 Prozent auf, denn die Fraktion der SPD kann nur einen Anteil von Konfessionslosen von 43,3 Prozent (17,5% + 25,8%) aufbieten. Hier schwankt man wohl zwischen Konfessionslosigkeit und Konfessionsfreiheit hin und her. Jenseits im Tale dieses Gebirgsstocks landen wir endlich bei der Faktion von CDU/CSU mit – sage und schreibe – nur 15,4 Prozent (1,9% + 13,5%) an Konfessionslosen. Dort tummeln sich tatsächlich mehrheitlich Christinnen und Christen, wobei eine absolute Mehrheit von Katholikinnen und Katholiken (52,9%) gegenüber einer knappen Ein-Drittel-Minderheit (31,7%) von Protestantinnen und Protestanten den Ton angibt. In der anderen Regierungspartei überflügeln diese (32,6%) die Katholischen (19,2%). Das ist auch mit erheblich gestutzten Konfessionsflügeln in weiteren Fraktionen der Fall, allerdings nicht in der AfD-Fraktion. Dort hat es fast doppelt so viele Mitglieder der katholischen (13,2%) wie der evangelischen Kirche (7,9%). Diese rund 20 Prozent Kirchenmitglieder scheinen noch nicht begriffen, dass deutscher Nationalismus hier und Protestantismus, erst recht Katholizismus dort wie Feuer und Wasser sind.

Einen deutlicheren Vorsprung haben die Katholikinnen und Katholiken im Bundeskabinett: Katholisch sind der Bundeskanzler (CDU), Reem Alabali-Radovan (SPD), Dorothee Bär (CSU), Alexander Dobrindt (CSU), Thorsten Frei (CDU), Verena Hubertz (SPD), Alois Rainer (CSU), Patrick Schnieder (CDU), Nina Warken (CDU); evangelisch sind Lars Klingbeil (SPD), Katherina Reiche (CDU), Johann Wadephul (CDU); explizit oder implizit konfessionslos sind Bärbel Bas (SPD), Stefanie Hubig (SPD), Boris Pistorius (SPD), Carsten Schneider (SPD) und Karsten Wildberger (CDU). Unter den 9 Katholiken und Katholikinnen in der Regierung dominieren die CDU/CSU-Mitglieder (7), unter den 3 Evangelischen ebenfalls Mitglieder der CDU (2). Unter den 5 explizit und implizit Konfessionslosen in der Regierung stellen die SPD-Mitglieder die Mehrheit. Somit sind die Mitglieder der evangelischen Kirche unter den Regierungsmitgliedern massiv unterrepräsentiert und unter den Abgeordneten des Deutschen Bundestags nur noch mit 22,7 Prozent vertreten. Im Blick auf alle bisherigen Wahlperioden ist das der historisch niedrigste Wert im bundesdeutschen Parlament. Dies gilt übrigens auch für die Repräsentanz der römisch-katholischen Kirche unter den Abgeordneten. Allerdings haben in der aktuellen Regierung die Katholikinnen und Katholiken einen massiven 9:3:5-Überhang.

Kann das in der Bundesregierung gutgehen? Kann es gutgehen, wenn einer tendenziell ‚katholischen‘ Regierung eine Mehrheit von nicht-katholischen Parlamentariern gegenübersitzt? Vielleicht hat ja die Konfessions- und Kirchenzugehörigkeit in der politischen Arena gar keine Bedeutung mehr. In Anlehnung an die am 09. Mai 2025 verstorbene Margot Friedländer ließe sich dann sagen: Es gibt kein katholisches, evangelisches, konfessionsloses und konfessionsfreies Blut. Und jüdisches oder muslimisches? Gibt es ja auch nicht. Unter den Abgeordneten sind nur sechs Muslime, in der Regierung kein einziger. Die Familienministerin. Karin Prien (CDU), ist schwer einzuordnen, sie hat jüdische Vorfahren, sieht sich als ‚jüdisch‘, wenn auch ‚nicht bekennend‘.

Nicht bekennend‘ – so etwas ähnliches könnte auch bei evangelischen und katholischen Regierungsmitgliedern und Abgeordneten der Fall sein. Wer keiner religiösen Organisation angehört, kann – ob politisch aktiv oder nicht – durchaus ‚religiös‘ oder ‚christlich‘ sein bzw. sich auf diese Weise selbstbeschreiben (‚believing without belonging‘). Dies gilt freilich auch umgekehrt (‚belonging without believing‘), und an basalen Merkmalen des Christlichen gemessen kann es sogar Kirchenmitglieder geben, denen christliche Glaubensvorstellungen abgehen, wie wir in einer Studie in Hessen detailliert sehen konnten (Michael N. Ebertz/Meinhard Schmidt-Degenhard, „Was glauben die Hessen?“, 2014): ‚Konfessionslosigkeit‘ also auch unter Kirchenmitgliedern! Vor 67 Jahren hatte Joseph Ratzinger bereits über die „neuen Heiden und die Kirche“ einen interessanten Beitrag in der Zeitschrift Hochland (51/1958) verfasst und von der „Kirche der Heiden“ gesprochen. Vielleicht ist das Gebirge der faktisch Konfessionslosen noch größer als es die Statistik des Bundestags erfassen kann. Sicher dürfte sein: Von dieser Regierung dürfte keine Initiative ausgehen, Staat und Kirche zu entflechten.