Was gibt es heute? Sozusagen – oder: Das Irrengericht

Heutzutage werden wir nicht nur wahnsinnig überflutet von Bildern (und überfluten uns mittels Handy selbst damit), sondern auch von totalem Dauergeplauder. Dieses wird gewürzt von sogenannten Partikeln („Irgendwie so …“) oder von Adjektivkombinationen („… total spannend“) und damit aber (Achtung: eine Partikel!) ‚gewissermaßen‘ unscharf gemacht. Der Kunsthistoriker Wolfgang Kemp sieht in dem von Partikeln (irgendwie, sozusagen, bloß, wohl, halt, eher, so) durchsetzten neuen Sprachgebrauch einen Ausdruck wachsender Geschwätzigkeit. Neben der Häufung von „ultradeutschen“ Füllwörtern wie total, absolut, genau (Letzteres super gern von Studierenden in Referaten genutzt) beobachtet der Autor ein sich ausbreitendes „Umgangsdeutsch“. Dazu zählt er sozusagen und irgendwie, also kommunikative Weichspüler, die schleichend das Sprechen durchdringen. Wie die chemischen Weichmacher beim letzten Spülgang in der Waschmaschine der Verhärtung der Wäsche beim Trocknen entgegenwirken, sollen die sprachlichen den Aussagen gewissermaßen irgendwie so das Kantige nehmen. Sie machen sie eher verschwommen, halt schwammig, ziehen sie eben in die Unschärfe. Während Kemp in seinem jüngst erschienenen Buch („Irgendwie so total spannend“, 2025) diese Unschärfen auf die wachsende Bedeutung des Mündlichen (etwa in Podcasts) zurückführt, sieht sein Rezensent, Wolfgang Krischke, in ihnen eine Folge „mangelnder gedanklicher Disziplin“ (FAZ vom 03.06.2025).

Einige Tage später meldet sich der Soziologe Dirk Baecker zu Wort, um in der FAZ (vom 11.06.2025) gegen beide Dekadenzbehauptungen einer wachsenden Gedankenlosigkeit und Geschwätzigkeit Einspruch anzumelden. Unscharf in Frageform verpackt, meint er, dass die Überfüllung mit Sprachpartikeln auf eine veränderte Situation „im Verhältnis von Kommunikation und Bewusstsein“ verweise. Interessant. Im Unterschied zu früheren Gesprächsrunden in Radio und Fernsehen der 70er Jahre, wo sich die Gesprächspartner – auch sich selbst – mit eindeutigen, unumstrittenen, eben apodiktischen Aussagen zu beeindrucken versuchten, seien wir „heute in einer anderen Situation“. Mit der Flut von Partikeln sei „immer auch gemeint, dass man an den gewählten Formulierungen berechtigte Zweifel haben kann, denen nachzugehen sich jedoch nicht wirklich lohnt“; denn man fände sowieso nichts Besseres. Doch „mit jeder dieser Floskeln ist markiert, worauf es ankommt. Man steigt aus dem Sprachfluss aus, indem man ihn nicht unterbricht, sondern sozusagen in sich faltet“. Interessante Metaphern. Die in den Partikeln zum Ausdruck gebrachten Zweifel seien als „die des begleitenden Bewusstseins“ zu verstehen, das „die Riskanz dieser Rede“ andeute. Das Bewusstsein wisse sowohl um die „Differenz von Ausdruck und Gedanke“ als auch um die Differenz „von Ausdruck und möglichen anderen Ausdrücken“. Dahin stehe also nicht Geschwätzigkeit und Gedankenlosigkeit, auch „nicht Hilflosigkeit“ oder so, sondern eindeutig „Ratlosigkeit“ angesichts der „Einsicht in die Konstruiertheit einer Situation. Wer glaubt, er könne als Sprecher eine Situation determinieren, irrt sich“. Apodiktisch war gestern? Dirk Baecker duldet keinen Widerspruch, denn jeder andere Sprecher oder jede andere Sprecherin „irrt sich“. Aber nicht sozusagen. Total wahnsinnig. Immerhin: Sie sündigen nicht.