Was gibt es heute?
Bashing – oder das Kostüm-Gericht
Momentan ist Kirchenbashing angesagt – „immer druff“, scheint das Motto zu heißen: Schlagt die Geistlichen alten Schlags. Und diese selbst kloppen sich wie bekloppt untereinander: Bischöfe gegen den amtierenden Papst, Bischöfe gegen den emeritierten Papst, Kardinäle gegen Kardinäle, Bischöfe gegen Bischöfe, Priester gegen Bischöfe, Priester gegen Priester, Nonnen gegen Bischöfe, Ordensmänner gegen Bischöfe, Journalistinnen und Journalisten gegen Marx, Woelki und Heße, wie sie auch sonst noch heißen. Quer und kreuz, d.h. heißt durcheinander, ohne gemeinsames Ziel. Das Ganze erinnert an das Chaos mittelalterliche ‚Fußballspiele‘. Das waren gewaltsame Kampfspiele „mit einer mit Luft gefüllten Schweinsblase als Ball“, wie sie Norbert Elias 1983 beschrieben hat (Der Fußballsport im Prozess der Zivilisation). Das Fußballspiel war einmal „ein sehr wildes Spiel“, das „über die Straßen einer ganzen Stadt hinweg“ verlief, wobei auch „Fenster eingeschlagen“ wurden. Es wurde auch zwischen Dörfern gespielt, „wo man sich dann gegenseitig die Köpfe blutig schlägt“. In einem überlieferten Bericht „heißt es dann, dass die Spieler am Ende so aussahen, als kämen sie von einer regelrechten Feldschlacht, mit blutigen Schädeln, gebrochenen und verrenkten Knochen. Trotzdem machte offenbar allen dieses wilde Spiel Vergnügen“.
Um das allgemeine, sprich katholische Kirchenbashing zur jetzigen 5. Jahreszeit anzufeuern, könnte man in die Klamottenkiste der Reformation greifen und eine Textilienfront eröffnen. Zwingli, der Schweizer Reformator (1484-1531), ereiferte sich ja zum Beispiel „nicht nur über herausgeputzte Frauen, die wie Pfauen in den Gottesdienst stolzieren“. Im Blick auf die Kleidung der Geistlichkeit herrscht bei ihm derselbe Ton. Für ihn sind Kutten, Kreuzeszeichen und Chorhemden „nicht nur weder gut noch schlecht, sondern sie sind nur schlecht“. Seinen katholischen Gegnern, den von ihm sogenannten Päpstlern, die „die ehrwürdige Priesterschaft vom gewöhnlichen Menschen“ vestimentär distinguieren wollen, antwortet er: „Wer sich von seinem Bruder durch religiöse Zeichen oder Kleidung unterscheiden will, ist ein Heuchler, denn wir haben einen anderen Weg, um ehrwürdig zu werden. Christus lehrt uns, dass wir einander an Demut übertreffen sollen“. Auf den potentiellen Ein- und Vorwand der Kleriker, die geistlichen Gewänder sollten ja nicht den Menschen, sondern Gott gefallen, antwortet Zwingli, „Gott sei ja nicht blind. Er sehe ins Herz und halte darum wenig von der Fastnachtsverkleidung“. So referieren ihn die Zürcher Theologen Ralph Kunz und Thomas Schlag („Des Pfarrers neue Kleider …“, in: Pastoraltheologie 2009).
In Preußen wurde für die lutherischen und reformierten Pfarrer erst 1811 der schwarze Talar verbindlich (per Kabinettsorder des Königs), doch gibt es in den letzten Jahrzehnten im Bereich der lutherischen Kirchen hierzulande die Tendenz, „die mögliche Vielfalt liturgischer Gewänder gleichsam bis an die Grenzen des Schnittmusters hin auszuloten“, schreiben Kunz und Schlag weiter. Und sie vermuten im wachsenden „Wildwuchs“ in den evangelischen Gemeinden „letztlich ein ungeklärtes Amts- und Selbstverständnis der Pfarrerinnen und Pfarrer“. Der „Würde des Amtes“ wegen solle sich die Kirche „nicht lumpen lassen“: Der Pfarrer, der ja kein Priester ist, „soll kein Lump sein und keine Lumpen tragen“, heißt es einmal. Und die Leute heute hielten nach orientierenden Zeichen Ausschau, wünschten den Amtsträger im Talar, mit oder ohne Stola, der ja eigentlich katholisch-klerikalen Identätsausrüstung priesterlicher Vollmacht. Die Leute wollten in den Gottesdiensten nicht, dass „die Hauptrolle scheinbar unbesetzt bleibt.“ Aber widerspricht ein solches Privileg der „protestantischen Kostümtradition“ nicht der ebenfalls evangelischen Glaubenstradition von dem einen Predigtamt, dass alle Getauften miteinander teilen? „Nicht zuletzt vor dem eigenen Spiegel“, schreiben Kunz und Schlag weiter, werde in der Talarfrage „der kirchliche Amtsträger der eigenen theologischen Existenz ansichtig; sie wird ihm aber auch zur offenen Frage“. Andererseits meinen sie: „Natürlich sollen nicht alle, die Lust haben, Talare mit Beffchen tragen dürfen. Dann wäre Fastnacht angesagt“. Natürlich?
Die protestantische Kostümfrage in der Schweiz ist nicht nur lustig, weckt Emotionen und regt an, dem exzessiven katholische Kirchenbashing hierzulande durch einen weiteren Schuss Antiklerikalismus eine neue Dynamik zu geben – und eine entsprechende Färbung zur 5. Jahreszeit. Danach reicht’s aber. Eine Fastenpause im Kirchenbashing könnte zur Besinnung bringen – auf die Opfer sexuellen und geistlichen Missbrauchs, ohne die es keine Versöhnung und Erneuerung der Kirche geben kann.