Was gibt es heute?
Enthüllungen – oder: Das Oldtimergericht
In einem Park in Prag, so ist zu lesen, wurde vergangene Woche Maria Theresia enthüllt, genauer: ein Denkmal von ihr. Etwas anderes hätte die vor 240 Jahren verstorbene mächtige kaiserliche Dame aus dem Hause Habsburg selbst postmortal nicht zugelassen, hatte die Mutter von 16 Kindern doch von denjenigen, die ihre Kindheit überlebten, gefordert, in ihren Residenzen keine Darstellungen von ‚Nuditäten‘ zu dulden und am Wiener Hof sogar eine ‚Keuschheitskommission‘ eingerichtet. Dass die Prager einer Frau, die dafür sorgte, dass Böhmen der letzte Rest an Autonomie genommen wurde, und die Königskrone, die ihr im Veitsdom aufgesetzt wurde, als ‚Narrenhäubl‘ verspottete, ein über 5 Meter hohes Denkmal enthüllten, steht auf einem anderen Blatt. Jahrelange Kontroversen mit den Monarchisten waren erwartbar.
Enthüllungen gleich jeder Art sind – so Thomas Luckmann – kleine Transzendenzerfahrungen. Eine Tür öffnen, ein Geburtstagsgeschenk auspacken, den Fernseher einschalten, ein Buch lesen, eine Flasche Wein entkorken, den Hut ziehen, die Schuhe ausziehen, die Maske fallen lassen – alles keine mittleren oder großen, sondern kleine Transzendenzerfahrungen. Von „kleinen Transzendenzerfahrungen“ spricht Luckmann dann, wenn sie sich innerhalb des Alltäglichen vollziehen und „das in der gegenwärtigen Erfahrung angezeigte Nicht-Erfahrene“ (also z.B. das, was sich gerade hinter einem Vorhang oder einer verschlossenen Tür verbirgt) „grundsätzlich genau so erfahrbar ist wie das gegenwärtig Erfahrene“ (die verschlossene Tür oder der grüne Vorhang). Wir brauchen dann nur die Tür zu öffnen, um vielleicht Menschen bei der Arbeit oder beim Turnen zu sehen, oder das Geschenkpapier zu beseitigen, um ein Parfum oder ein Buch zu sehen. Oder wir sehen, wie sich jemand entkleidet. Luckmann weist darauf hin, dass die kleinen Transzendenzen nicht belanglos sind, müssen sie doch in Raum und Zeit bewältigt werden, was wegen eines Handikaps schon schwierig sein kann. Aber „grundsätzlich steht nichts der Möglichkeit im Wege, dass sie in weiteren Erfahrungen und späteren Handlungen umgangen oder überschritten werden“, so Thomas Luckmann (Die unsichtbare Religion, Frankfurt 1991, 167f).
Offensichtlich stehen uns neue Chancen für Transzendenzerfahrungen bevor – kleine versteht sich, aber sie haben das Zeug, sich zu großen Transzendenzerfahrungen auszuwachsen, wenn man die anhaltende Begeisterung ernst nimmt, die von einer 53jährigen Prophetin ausgeht. Annette sei „in ihrer Begeisterung nicht zu bremsen“ und „noch immer packt sie die Faszination“, notiert die FAZ am 19. Oktober, also just ein Tag, bevor Maria Theresia 1740 Erzherzogin von Österreich wurde. Doch Annette, die mit ihrer „Empathie“ einen „in den Bann ziehen“ könne, spricht nicht von Wien oder Prag, sondern von „Verona“, und sie verspricht ein „Spiel aus Verhüllen und Zeigen“. Sie verheißt „etwas Magisches“, sogar „Erscheinungen“, kleine versteht sich. Immerhin geht es um „modische Erscheinungen“, um „Kleidungsstücke“, mit denen – vorzugsweise aus Leder – sogar immer mehr Männer das Spiel der der kleinen Transzendenzerfahrungen aus Verhüllen und Enthüllen betreiben würden und – so die Vorhersage – werden. Es geht um „Handbekleidung“. Aus Leder oder Wolle sei sie alles andere als altmodisch, die „über Jahrhunderte dem Klerus und der Dame als Status und Standeszeichen vorbehalten war, um sich vom gemeinen Volk zu distanzieren“. Ließ sich Maria Theresia mit Handschuhen abbilden?
Auffällig ist, dass der Klerus hierzulande von Erscheinungen nichts wissen will, trotz aller Empathie kaum mehr jemand in den Bann zu ziehen vermag und schon längst die Handschuhe ausgezogen hat. Sie gehören nicht mehr zu seiner vestimentären Kommunikation Der einschlägige Versandhandel (vgl. www.Liturgischekleidung.de) hält für ihr „Spiel aus Verhüllen und Zeigen“ alles Mögliche vor: z.B. Messgewänder, Marien- und Osterchorröcke mit Spitzenmotiven, Kapuzenpelerinen in Farben, „die der liturgischen Periode entsprechen“, Röcke mit Gummibund, Hemden „mit Ausschnitt für Kragen und Soutanen“, Collar- und Talarkragen, um „Ernst und Würde“ auszustrahlen, Rauchmäntel aus „schönen Jacquardstoffen in Creme- und Goldfarben“, Schuhe und Socken. Der letzte Schrei: Als „Neuheit“ werden dem Klerus inzwischen auch Schutzmasken (für Erwachsene und für Kinder!) angeboten, doch keine Handschuhe. Gibt man den Suchbefehl ‚Handschuhe‘ ein, heißt die Antwort: „Entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten. Suchen Sie erneut“ – aber nicht mehr nach Handschuhen.
Der deutsche Klerus hat inzwischen ja vieles sonst noch auf- und abgegeben: Den Manipel, die Hölle, die Schmerzen des Fegefeuers, die Limben, die Sorge um die Trauernden, das Wachstum der Kirche, ihre Steuerung in die Zukunft, ihre Systemrelevanz in der Gegenwart. Selbst die Magie der Handschuhe überlässt der Klerus nun anderen Männern, anderen „Oldtimerfahrern, die stilgerecht ihre mit Leder bedeckten Hände auffällig auf das Lenkrad legen“, wie es in der FAZ heißt. „Der Handschuh erlebt ein Revivel“, sagt Annette Roeckl. Als „europäischer Marktführer strahlt das Unternehmen seine Markenkraft aus“, heißt es über ihre GmbH, aber nichts dergleichen über eine ‚societas perfecta‘, die sich als Stiftung Jesu Christi versteht.
Sollten die Weltpriester und die männlichen wie weiblichen Weltchristen wieder Handschuhe anziehen, um ihr verbeultes Oldtimer-Schiff magisch in Bewegung zu bringen, um das Spektrum der Transzendenzerfahrungen zu erweitern? Aber was sollen die Handschuhe, wenn dem kirchlichen Unternehmen in Deutschland die Hände gebunden sind?