Was gibt es heute?
Rabimmel-Rabammel – oder: Das Rabummsgericht
Auch schon lange vor Trump gab es Fake news, wenn sich diese auch nicht über’s Internet verbreiten konnten. Auch nach Trump wird es Martinsbrezel bei und Martinsgans nach Laternenumzügen geben. In kirchlichen Kitas heißt dann der Vers: „Der Martinsmann, der zieht voran, rabimmel, rabammel, rabumm“. Wie dessen Mantel wird dann die Brezel geteilt.
Martin Luther ist nicht gemeint, obwohl der den Evangelischen, die ja keine Heiligenverehrung kennen, ‚heilig‘ ist. Gemeint ist sein Namenspatron, der ein wirklicher Heiliger war: ‚der Heilige Martin‘. Der war schon heilig, bevor im römischen Maschinenraum ein teures und manchmal stockendes Heiligsprechungsverfahren anspringen konnte, das es ja erst seit dem 17. Jahrhundert gibt. Und der wirkliche heilige Martin lebte und starb bereits im 4. Jahrhundert. Früher war alles anders, heilig wurde man durch gelebte Verehrung – mit nachträglicher bischöflicher Zustimmung oder Duldung. Dies sind keine Falschmeldungen. Falsch ist, dass sich schon Martin dem exzessiven Gänsegenuss hingegeben oder Brezel gebacken habe. Denn Martin war ein strenger Asket, nachdem er Soldat und während er Mönch und dann Bischof war.
Richtig ist, dass man am 11.11. (ähnlich wie am Fastnachtsdienstag) so richtig – neben der Sau – die Gans rausgelassen hat. Nach diesem Tag begann nämlich – analog zur österlichen Fastenzeit – die sechswöchige Fastenzeit vor Weihnachten – ja, die gab es früher. Vogelvöllerei vor dem Verzicht, lustvolles Rabimmel vor dem Rabammel. Alles Fett musste verbraucht, und die Abgaben an den Grundherren geliefert werden: Rabumm! Diese Abgaben bestanden unter anderem „aus Gänsen, deren Bestand wegen des beginnenden Winters drastisch reduziert werden musste. Im 16. Jahrhundert wurde die Gans daher immer mehr zum Attribut des heiligen Martin schlechthin, obwohl seine Vita und die Martinslegenden ursprünglich keinerlei Zusammenhang mit dem Mönchsbischof und dem Federvieh erkennen lassen“, so Hubert Wolf (Erinnerungsorte des Christentums, 2010). Ja, so kommt einiges zusammen, was ursprünglich nicht zusammengehörte.
Und die Laternen? Seit dem 15. Jahrhundert gab es Martinsfeuer, die auch subversiven Charakter annehmen konnten – als symbolischer Protest gegen die Abgabenpflicht: „Niemand zündet ein Licht an und versteckt es in einem Winkel …“ hieß es damals im Tagesevangelium nach Lukas. Aus Fackelzügen Erwachsener wurden schließlich Kinderumzüge, aus Fackeln Lampions, und aus einer Demo heile Kinderwelt als Vorspiel zum ehrfürchtigen Auftritt des Schauspielers, der hoch zu Ross den Mantelteiler mimte, und nicht zuletzt auf die Brezel. Rabammel, rabimmel.
Richtig ist auch: Als Kind einer Soldatenfamilie und Mitglied einer berittenen Elite-Einheit war Martin noch ungetauft, als er den Soldatenmantel teilte. Und als Offizier hätte er sogar seinem Leibburschen die Stiefel geputzt … Caritas kann also jeder und jede und auslachen auch, denn im halben Mantel sah man auch damals schräg aus. Aber auch Getaufte können Krieg führen; denn schon damals waren „trotz gravierender Bedenken strenger Kirchenväter und Laien viele Christen im römischen Heer“, schreibt der vor 17 Jahren verstorbene Friedrich Prinz kurz vor seinem Tod (Das wahre Leben der Heiligen, München 2003). Auch Martin blieb nach seiner Taufe im Kriegsdienst – noch für zwei Jahre, bevor er sich in den Heilsdienst des Bischofs Hilarius von Poitiers begab.
Martin war ein „umstrittener Heiliger“, gab es doch Stress mit anderen Bischöfen, die – unverehrt – keine Heiligen wurden. Noch vor dem Tod Martins brachte sein Schüler, ja charismatischer Anhänger und glühender Verehrer Martins Vita heraus: Sulpicius Severus. Der Biograph starb knapp zehn Jahre später (406) und berichtet von Wundern, ja Totenauferweckungen. Martin hätte auch Teufelsaustreibungen bei Besessenen vorgenommen. Da der Satan „durch den Mund den Ausweg nicht nehmen konnte, fuhr er“, so ist überliefert, „im Unrat des Leibes aus und ließ schmutzige Spuren zurück“. Rabumms!
Eine religiöse Kommune hat Martin gegründet, aber sein Biograph war nicht unter den 80 Mönchen. Die lebten in Gütergemeinschaft, Holzhütten und selbst gegrabenen Höhlen und haben Martin bei seinen Missionsreisen begleitet, bei denen der Heilige Bäume umhackte, Götterbilder zerstörte, Tempel niederbrannte und dafür Kirchen errichtete. Pogrome? Sie bewegten sich damals noch in einer rechtlichen Grauzone, denn erst später, so Prinz weiter, wurde „die Zerstörung von Kultstätten der alten Götter staatlich gedeckt und wurde sogar forciert“. Gewaltfreies Christentum? Rabumm! Bloß Gewalt gegen Sachen? Rabumm!
Zu Lebzeiten Martins begannen auch Christen und Christinnen im lateinischen Westen des römischen Imperiums, Christinnen und Christen zu verfolgen. Priscillian, ein hochgebildeter Laie, war zum Führer einer bis weit ins 6. Jahrhundert hinein erfolgreichen charismatischen Bewegung geworden, deren Jünger sich schon – ähnlich wie seinerzeit Martin – „mit der Taufe zur radikalen Absage an die Welt und zur Hingabe an Christus in Armut und Keuschheit verpflichteten“. Kirchenspaltung drohte. Der Kaiser in Trier legte noch ‚eine Fackel unter das Feuer‘ und fällte, unterstützt von Bischöfen, die den Luxus liebten, der Geldgier und der Gefräßigkeit verfallen waren, „ein Bluturteil: Priscillian und sechs seiner Anhänger wurden 385 in Trier hingerichtet“, konkret: enthauptet. Rabumm! Das hat der spätere Papst Leo der Große (440-461) als „segensreiche Strenge“ gepriesen, so Prinz weiter. Gewalt gegen Sachen und gegen Personen. Rabumm, rabumm!
Zu dieser Zeit war Martin gegen den Willen anderer Bischöfe und mächtiger Laien schon längst zum Bischof von Tours geweiht worden, ausgerufen durch „einen spontanen Willensakt der christlichen Gemeinde“ der Stadt an der Loire – ja, das gab es auch gerade noch. Bald war es damit vorbei, und die Hierarchen setzten das Top-down-Prinzip der Ernennung durch, unterstützt durch die politische Obrigkeit. Rabumm! Großgrundbesitzer rückten in die oberen Ränge der Kirche vor, Bischöfe wurden Politiker, „schnöde Kriecherei der Bischöfe“ vor dem Kaiser (in Trier) machte sich breit. Rabumm! Die Bischofsweihe von unten wurde zum Auslaufmodell. Rabumm! Martin selbst saß als asketisch-charismatischer Bischof zwischen den Stühlen eines asketischen und eines amtlichen Modells des Christseins. Selbst im Verdacht der Häresie, war er ohnmächtig, jenes Bluturteil zu verhindern und zu skandalisieren. Bevor ihn andere Bischöfe exkludierten, zog er die Konsequenz, mied den Kontakt mit ihnen, exkludierte sich selbst. Man kann es auch anders sagen: Er hatte „oft genug unter Beweis gestellt, dass es ihm an Willen und Anpassungsfähigkeit fehlte, um sich in den Episkopat und die Gesellschaft Galliens als weithin akzeptables Vorbild zu integrieren“, so Götz Hartmann (Selbststigmatisierung und Charisma christlicher Heiliger der Spätantike, Tübingen 2006).
Martin hielt in der bischöflichen Selbstisolation von Tour an dem alten Ideal eines „staatsfernen christlichen Gemeindebegriffs“ (Prinz) fest. Auch dieses Ideal war zu einem Auslaufmodell geworden. Rabumm! Seitdem haben wir das Rabimmel in der Kirche: Ein Neben-, Mit- und Gegeneinander von Amt und Charisma, von Amt und Amt, von Charisma und Charisma – und Rabammel wie Rabumm.