Was gibt es heute
Ach-wie-fein – oder: das 1. Hundertpfützen-Gericht

Neulich musste sich mal wieder ein deutscher Bischof – ein Erzbischof – dazu äußern, wie er zur Zulassung von Frauen zum Priesteramt in der römisch-katholischen Kirche stehe. Solche Fragen haben dort inzwischen Ritualcharakter angenommen und die Antwort auch. Man weiß sie eigentlich schon vorher. Man fährt Karussell. Es gibt so etwas bekanntlich auch als Spielzeug und auf Kinderspielplätzen. Mich überrascht manchmal nur die Unerschöpflichkeit der Fragevarianten und Antwortmutanten. Auf die schriftliche Eingabe eines jugendlichen Chatters, ob sich denn der Bischof wenigstens „in hundert Jahren Priesterinnen vorstellen“ könne, hatte der eine klare Antwort: „Wenn’s der Heilige Geist will, dann wird’s so kommen“. Immerhin habe der Bischof, so meint ein Theologe geflissentlich, die Priesterinnenweihe ja nicht ausgeschlossen. Immerhin. Für die nächsten hundert Jahre.

Vor mehr als hundert Jahren, es muss 1908 gewesen sein, so erinnere ich mich bei dieser Jahrhundert-Frage und Hundertjahre-Antwort, hat der Berliner Humorist Otto Reutter ein Lied gedichtet. Darin heißt es: „Ach, wie fein, ach wie fein, wird’s in hundert Jahren sein, dann regieren die Frauen auf der Welt allein. Und will dann mal der Mann noch des Abends aus dem Haus, ohne Damenbekleidung darf er gar nicht raus. Ja, der Mann, der zieht die Kinder groß, das ist doch hart, die bekommen von ihm die Milch der frommen Denkungsart. Doch dass der Mann die Kinder groß zieht, das genügt der Frau noch nicht, nein, sie hätt’s am liebsten, wenn er sie gleich kricht“.

Diese Zukunftsvision einer verkehrten Welt der Geschlechterrollen ist, wie wir nach hundert Jahren wissen, ja nicht Wirklichkeit geworden. Und die Frauenfrage in der Kirche? Karl Neundörfer schreibt: Die langfristige, mit dem „Siegeslauf“ der Volksschule im 19. Jahrhundert beginnende Hebung des Bildungsniveaus dürfte ein gewichtiger Faktor sein, die „in der ganzen Breite des Volkes eine geistige Haltung [schafft], die für das kirchliche Leben nicht weniger bedeutsam ist wie für das staatliche“. Diese Entwicklung brachte „nicht nur eine Höherstellung des Volkes gegenüber den Fürsten und Gelehrten, sondern auch der Frauen gegenüber den Männern“. Jene „Frauen weiterer Volkskreise, welche heute an Bildungsbesitz und politischem Einfluß gleichberechtigt neben dem Manne stehen, spüren, dass damit auch ihre Stellung in der Kirche zum Problem wird. Die Auseinandersetzungen über die Frage des weiblichen Priestertums in den letzten Jahren sind dafür Beweis genug“, so Neundörfer. Das schrieb er allerdings schon vor hundert Jahren! Und in der Tat könne man „die Frage nach der Stellung der Laien in der Kirche von der Frage nach der Stellung der Frau in der Kirche nicht trennen“, schrieb er damals weiter. Neben den „erfreulichen“ Seiten dieses „Aufstieges des Laientums“, die er zum Beispiel in einem Wachstum an „religiöser Innerlichkeit“ sieht, liegt für Neundörfer, der ja Jurist, Priester, Zentrumspolitiker war und zum engeren Kreis um Romano Guardini zählte, „das Bedenkliche … in den offensichtlichen Gefahren dieser Entwicklung für die gottgegebene Verfassung der Kirche an sich und ihren gottgewollten Einfluß auf die Welt“ (Karl Neundörfer, Zwischen Kirche und Welt, Frankfurt 1927, 41f).

Auch er hat mit seinen Befürchtungen mit Blick auf die römisch-katholische Kirche nicht Recht behalten. Zwar ist ihr ‚Einfluss auf die Welt‘ in Deutschland und in anderen europäischen Ländern erheblich geschwächt. Doch ihre ‚gottgegebene Verfassung‘ ist stabilisiert. Stabiler als das Grundgesetz. Die „Geschlechterhierarchie“ der Kirche steht hundert Jahre später unerschütterlicher denn je. Ja, darüber sollte man sich genauso wenig täuschen oder täuschen lassen wie über andere Dinge in der Kirche. „Zusammen mit seinem kongenialen Glaubenswächter Kardinal Ratzinger“, so schreibt der Bonner Kirchenrechtler, Norbert Lüdecke, in seinem neuen Buch, „baute Papst Johannes Paul II. die autoritative Infrastruktur der katholischen Kirche durch das neue weltweite Kirchengesetzbuch, den Codex Iuris Canonici von 1983, maßgeblich wieder aus. Auf der doktrinellen Ebene schärfte er sensible Lehren wie die der Enzyklika ‚Humanae Vitae‘ neu ein und verschärfte die Lehre von der Unmöglichkeit der Priesterweihe für Frauen durch ihr formales Upgrade zu einer unfehlbaren Lehre“ (Die Täuschung. Haben Katholiken die Kirche, die sie verdienen?, Darmstadt 2021, 11). So lässt sich mit  dem 1931 verstorbenen Otto Reutter, der eigentlich Friedrich Otto August Pfützenreuter hieß, weitersingen: „Was in 100 Jahren alles noch passieren kann, das geht uns, wenn ich es recht bedenke, gar nichts an“!