Was gibt es heute?
Diana Maradona – oder: Das Armandogericht
„Seine Magie werden wir im Gedächtnis behalten, ohne den Magier selbst beneiden zu müssen“, lese ich am ersten Adventsonntag 2020 in der Zeitung mit den klugen Köpfen. „Er verlässt uns, geht aber nicht“, sagte einer, der seine Nachfolge antreten wollte. Es kam keiner, der größer sein konnte als jener Magier. Mit „brechender Stimme“ begriff endlich ein „Starmoderator“, weshalb ein argentinischer Fußball-Zauberer „zum Heiligen wurde: ‚Er verkörpert den Menschen in seinen Widersprüchen, so, wie wir alle sind“. Ja, Diego Armando Maradona ist der Allerheiligen-Heilige: Linksfuß, Kokskopf, Bordellgänger, Fresser und Weinsäufer, Freund der Mafia-Sünder und Steuerschuldner – so wird er betitelt. Er ist zum Allerheiligen-Heiligen der „Allerschwächsten“ geworden. „Fast klang es, als könne der, der so ist wie Du und ich, auch diesmal von den Toten auferstehen, um zurückkommen“, lese ich weiter, um mit uns allen in ekstatischer Gemeinschaft das „Drama zwischen Himmelfahrt und Höllensturz“ erneut auf dem Fußballplatz in Szene zu setzen.
Nicht nur die FAS kommt mehrmals ins Jubilieren und reißt Himmlisches an und auf. So begreift man, dass es das Lexikon der religiösen Sprache braucht, um bestimmte Phänomene – Grenzphänomene – ins Wort zu heben oder in eine Buchstabencollage (‚D10S‘) zu bringen. Es dämmert einem auch, dass es kein Charisma ohne Grenzgängerei, Gefolgschaft, Jünger, Mäzene und Sympathisanten gibt, kein Charisma ohne Ekstase (hier der Massen auf dem Platz, dort am Sarg) und kein Charisma ohne das Stigma der Devianz und der Koketterie mit der Abweichung. „Was für ein Spieler wäre aus mir geworden“, soll der 50Jährige, der 1986 das Tor gegen England irregulär mit der puren Hand erzielte, einmal verkündigt haben, „wenn es das Kokain nicht gegeben hätte“? „Wir haben ihn als ‚Gott‘ bezeichnet, weil er mit seinem Übermaß an zutiefst menschlichen Eigenschaften unsere Herzen bewegte“, meinte Mariano Schuster in einem Interview mit dem IPG-Journal. Er habe „uns das Glück – das Leben – geschenkt“, ergänzt er, weil er „alle und jeden einzelnen glücklich macht, der die Armen und Leidenden versteht“. Und weiter: „In einem der bewegendsten Videos, die man dieser Tage sehen konnte, stellt ein behinderter Junge auf Krücken aus den Armenvierteln einige Kerzen vor einem improvisierten Heiligenschrein auf. Zu dem Journalisten, der ihn dabei filmt, sagt er: ‚Weißt Du, wie glücklich er uns Arme gemacht hat? Manchmal hatte ich nichts zu essen, aber wenn ich ihn im Fernsehen sah, machte er mich glücklich‘. Das Glück dieses einfachen Jungen hat eine größere Dimension als wir sie mit der Politik erreichen können. Er spricht […] von ‚IHM‘, Maradona, in all seinen Aspekten, der ihn glücklich gemacht hat“. Ja, der Fußballgott, der sich als „Hand Gottes“ mit seinen „begnadeten“ Füßen aufmachte, auch Neapel „das Heil zu bringen“, ist Mensch geworden, hat gelitten, wurde verstoßen, bemitleidet, ist gestorben, ist jetzt in ewiger Erinnerung und auf dem himmlischen Fußballrasen aufgelaufen. Herab, herab, vom Himmel lauf? Einen festen Heiligenschrein hat er auch jenseits der Alpen – an der Via San Biagio Dei Librai mit ihren vielen Kirchen in Neapel.
Aber war da nicht schon so etwas Ähnliches, nur weiblich? „Nun gehörst du dem Himmel, und die Sterne buchstabieren deinen Namen […] und deine Fußspuren werden immer hier zu finden sein“ in „einem Land, das ohne Deine Seele verloren ist“. Das sang Elton John („Candle in the wind“) bei der Trauerfeier für Lady Diana in Westminster Abbey im September 1997. O Sonn, geh auf, ohn‘ deinen Schein? Der unvergessene Michael Nüchtern hat vier Bausteine dieser Heiligengeschichte zusammengetragen, die sich auch bei Diego finden lassen: Nähe, Vorbild, Macht, Verehrungsdauer. „Wie Diana immer nah und fern zugleich war, so ist sie auch jetzt inwendig jeder und jedem nah und zugleich göttlich entrückt“, schreibt Nüchtern (Diana – die Heilige vom eigenen Leben, in: Die unheimliche Sehnsucht nach Religiösem, Stuttgart 1998). Und Rebecca Habermas sah Parallelen zwischen Diana und Maria, der Mutter Gottes (Diana und Maria – die Geschichte einer Verehrung, in: Frankfurter Rundschau vom 07.02.1998). Diana als Mutter ihrer Prinzen wie die Madonna mit Kind …
Und Maradona? Der Argentinier, den es nicht nur nach Italien trieb, soll (auf Kuba) mindestens vier uneheliche Kinder hinterlassen haben. „Du bist größer als der Papst“, hatte man ihm schon auf Erden zugerufen. Lässig soll er entgegnet haben: „Was heißt das schon?“. Und in der FAS kommentiert Peter Körte: „Er hatte ja recht …“. Ich ergänze: Namenstag ist 24.11. Es fehlen noch die Wunder – Reliquien gibt es schon.