Was gibt es heute?
Zunge nach Wein – oder: Ja, das hilft

Am 29. Juli 2020 haben sich die Karikaturisten der FAZ entweder als Nichtkatholiken geoutet oder ein Beispiel für solche katholischen Kirchenmitglieder abgegeben, die Ratzinger bereits in den 1950er Jahren als „neue Heiden in der Kirche“ identifiziert hat, ohne sie später – als Erzbischof oder Papst – aus dem Tempel gejagt zu haben. Wie es sich unter dem Krummstab gut leben lässt, leben auch die Stabträger gern von ihren schwarzen Schafen und von ihren schwarzen Mitbrüdern, die sich manchmal auch in Purpurgewand hüllen.

Die Enthüllung der FAZ-Karikaturisten passierte, indem Greser&Lenz darstellten, wie Petrus am Himmelstor einen Neuankömmling aus Risikogebieten auf Corona testet und ihn mit den Worten warnt: „Wenn Du positiv bist, zwei Wochen Quarantäne in der Hölle!“. Seit wann ist der Höllenaufenthalt, frage ich, zeitlich, sachlich und sozial begrenzt? Sozial kann man dort Leute und andere Wesen kennen lernen, die man hinieden gar nicht kennt. Sachlich passieren dort feurige Dinge, die gibt’s nicht, jedenfalls hinieden nicht. Und zeitlich zeigt die Höllenuhr ‚Ewigkeit‘ an, was hinieden auch nicht geht. Eine Hölle auf Zeit können nur religiöse Abweichler erfinden, die es in der Kirche auch gibt. Ja, die gibt es (s. oben). Und manchmal weiß man schon nicht mehr, wer von wem abweicht, werfen sich doch hohe kirchliche Amtsinhaber wechselseitig vor, Glaubensgut zu verraten.

Passager ist nur das Purgatorium, das Greser & Lenz als Lehrgut vielleicht gar nicht kennen oder wie Luther als ‚Gaukelwerk‘ ablehnen. Jedenfalls hätte es aus katholischer Sicht allenfalls heißen können: „Wenn Du positiv bist, zwei Wochen Quarantäne im Fegefeuer!“ Was dies für mein ‚Ristorante il purgatorio‘ bedeuten würde, will ich mir gar nicht ausmalen.

Ins echte, also katholische Fegefeuer kommt man nur, wenn man nach seinem Tod noch eine ‚Bußrechnung‘ offen hat, obwohl man seine Sünden in der Beichte – selbstverständlich vor dem Tod und vor einem Priester – bereits ausgesprochen hat und von diesem von seiner Sündenschuld losgesprochen wurde. Wer danach noch nicht alle Sündenstrafen getilgt hat, weil ihm der eigene Tod dazwischenkam, den erwarten postmortal peinvolle Strafen zur Reinigung, denen der Aufstieg zum Himmelstor folgt. Wem es hinieden schon peinlich ist, seine Sünden einem Priester mitzuteilen, der soll „vor der Beichte ein bisschen Wein trinken“, heißt eine Empfehlung auf der „freien katholischen Enzyklopädie kathpedia“. Das löse „seine Zunge, die Sünden zu bekennen“. Ihre wohl auch.

Vielleicht braucht es ja noch mehr Wein, um die Katholiken und Katholikinnen zum Sprechen zu bringen. Denn es grassiert unter ihnen allseits die Neigung zu vertuschen, zu verhüllen, zu verleugnen, also die Dinge nicht beim Namen zu nennen. Ich denke nicht nur an die schlimmen Dinge in Rom– so hat man die Fotografien des heiligen Papstes JPII, die ihn in freundschaftlicher Beziehung mit einem der größten Päderasten unter den modernen Ordensgründern zeigt, getilgt, um sie einer damnatio memoriae zu unterwerfen. Ich denke auch an den angekündigten Bericht über das Treiben eines aus dem Klerikerstand entfernten Kardinals, dem die Unterhaltung eines Kindersex-Rings vorgeworfen wird. Im Oktober 2018 angekündigt, liegt der Untersuchungsbericht noch immer im Dunkeln der Schubladen des Papstes verborgen. Ja, das gibt es in dieser Kirche.

Ich denke aber auch daran, dass bestimmte Botschaften aus Rom hinieden und hierzulande als peinlich empfunden werden und auch in diesem Zusammenhang dazu aufgefordert wird, besser zu schweigen. So geschehen, als neulich das Vatikanpapier zu den Pfarreireformen veröffentlicht wurde, in dem ein auf den Pfarrer zentriertes Kirchenbild erinnert wurde, an dem sich die Umstrukturierungen zu orientieren hätten. Seit wann ist die Leitung in der römisch-katholischen Kirche nicht auf den Klerus begrenzt? Seit wann sind die Laien nicht von der Leitung ausgeschlossen? Und seit wann wird der Priester nicht als Hirte idealisiert? Gehören inzwischen selbst Bischöfe zu jenen neuen Heiden in der Kirche? Wollen auch sie nicht wahrhaben, um welche Kirche es geht?

Ein von mir durchaus geschätzter Pastoraltheologe soll erklärt haben, dass einige Aussagen des Schreibens durchaus weiteres Nachdenken verdienten. Über andere Teile des gleichen Schreibens allerdings „sollte man den Mantel des befremdlichen Schweigens hüllen“. Weshalb dieses Bemänteln und Beschweigen – nicht nur in dieser Sache? Weshalb pflegen Laien mit Klerikern auf synodalen und sonstigen Wegen freundliche Interaktionen ‚auf Augenhöhe‘? Weshalb lassen sie Titel weg und ordnen die Sitzplätze der Teilnehmer*innen nicht nach Status, sondern alphabetisch, um ‚herrschaftsfreie Kommunikation‘ zu simulieren?

Vielleicht wird es auch in diesem Zusammenhang Zeit, Wein zu trinken, um die Zungen zu lösen, statt eine römisch-katholische Kirche zu fingieren, die es nicht gibt. Feurige Zungen waren es einmal, die freilich über den Köpfen der mutlosen Jünger und Jüngerinnen des Anfangs als Lichtzeichen erschienen.