Was gibt es heute?
Inspiration – oder: das Teppich-Gericht
Dass die Kirche in einer multiplen Krise steckt, weiß fast jeder – und jede auch. Es lohnt sich, darüber nachzudenken, wozu sie gut ist, für wen sie gut ist und was gut für sie ist, um aus dem Schlammassel herauszukommen. Heute schürfe ich bei Friedhelm Mennekes, dem Lehrer und Freund, dem Priester und Jesuiten, der 2001 das Bundesverdienstkreuz erhielt, in den kommenden Wochen 81 Jahre alt wird und vor 20 Jahren als Pfarrer der ‚Kunststation St. Peter‘, der Kölner Jesuitenkirche, eine schwere Krise durchmachte. 2001 wurde sein „Gehorsamsgelübde“, so heißt es in einem Interviewbuch mit ihm, „auf die wohl härteste Probe gestellt“, hatte doch der baskische Künstler Eduardo Chillida den Kölner Jesuiten einen dreiteiligen Kreuzaltar gestiftet, dessen Aufstellung, dem Kirchenrecht folgend, durch den damaligen Kardinal Ratzinger verboten wurde, da ein dreiteiliger Altar eben keiner sei. Und Friedhelm Mennekes hatte am verbotenen Altar die Messe gefeiert. In dem Interviewbuch (Zwischen Freiheit und Bindung. Friedhelm Mennekes im Gespräch, Köln 2008), das ich immer wieder hervorziehe und das mich inspiriert – ‚Inspiration‘ ist neben ‚Inkarnation‘ eines seiner Lieblingsworte – , lässt sich einiges an Antworten finden auf die Fragen, wozu Kirche – aber auch Christentum und Religion im allgemeinen – gut ist, für wen sie gut ist und was ihr gut täte:
Kirche als Quelle der Inspiration:
„Es geht nicht um Bestätigung für mich. Ich handle in einem inspirierten Umfeld, das ist […] die Kirche. Mir kann nur etwas gelingen, wenn es aus dem Segen, aus einer Inspiration kommt.“
Kirche als Ort des Zweifelns, der Korrektur:
„Gott lässt sich nur im Zweifel haben. Wann immer ich mich zu ihm erhebe, brauche ich das mitlaufende Bezweifeln meiner Erfahrung. Wenn ich glaube, eine Gottesnähe, eine Gotteskraft zu spüren, muss ich dieses Gespür gleichzeitig im Zweifel aufheben. Das ist der tiefste Grund, aus dem die Kirche ihre Daseinsberechtigung zieht […] als eine Instanz, die meine eigene Erfahrung mit Gott einordnet.“
Kirche als Ansaugparzelle:
„Ich merkte sehr schnell [als Pfarrer, MNE], dass eine Pfarrei eine Parzelle ist, die den Pfarrer einsaugen will. Ich spürte, dass ich höllisch aufpassen und mich diesen Ansaugkräften widersetzen musste, wenn ich nicht zu einem dieser beamteten Sakraldiener werden wollte […] Ein Pfarrer sollte sich nie an diesen frommen Seelen ausrichten, die es in jeder Gemeinde gibt. Denen muss man eher aus dem Weg gehen.“
Kirche als Teppich:
„ … und die Kirche muss umgekehrt dafür sorgen, dass die Euphorischen, diese frömmelnden Wesen mit ihrer herumtratschenden Gewissheit, wieder auf den Teppich kommen.“
Kirche als Ort des Kreativen:
„Es gibt so ein konservatives Interesse am Christentum und an Religion als einer Art Regelwerk, das dem Menschen zeigen soll, wo es langgeht. Man akzeptiert gewisse Vorgaben und organisiert dann seine Lebenspraxis. Das hat nichts Kreatives.“
Kirche als Ort der Gefahr
„Die Kirche läuft immer Gefahr, dass sie die Menschen vor Unheil, Scheitern und Enttäuschung bewahren will. Aus gutem Grund. Doch sie würde an sich selbst ersticken, wenn diese Kräfte überwögen. Sie muss die Erfahrung der Andersartigkeit der Welt und des Scheiterns an sich heranlassen. Die Religion bringt ja nicht besserwisserisch alles auf die Reihe.“
Kirche als Quelle des Sinnlichen:
„Religiöses floatet, es fließt wie Wasser. Wenn ich es begrifflich fassen will, dann definiere ich am Fließenden vorbei. Das fühlt sich an wie ein gefrorener Schwamm. Der hat zwar Strukturen, aber er lässt sich nicht mehr drücken. Er macht keine Lust mehr. Das Religiöse ist eine sinnliche, physische Kategorie – wie lachen, schmecken, riechen, spüren. Aber darin geht es nicht auf. Die Inkarnation kommt als das Wesentliche hinzu. Im Zentrum des christlichen Glaubens steht eine Göttlichkeit, die sich in den Menschen hineinbegibt.“
Kirche als Ort der Spannung:
„Im Katholischen liegen die Spannungen: Mediterran und Nordalpin. Das Heidnische und das Heilige. Das Theatralische und die Mystik. Äußerlichkeit und Innerlichkeit. Die Organisation einer besonderen Ungebundenheit des Klerus im Zölibat. Der Umgang mit Rollen, mit Räumen, mit Kultur, mit Kunst – auch wenn er gebrochen ist. Die Sichtbarkeit der Kirche. Die Sichtbarkeit des Unsichtbaren […] Vieles davon fordert den Protest als Gegenbewegung heraus […] Ja, katholisch sein heißt immer ‚werden‘. Das Katholische ist in seiner Weite und Offenheit so provokant, dass man eigentlich ständig dagegen angehen muss.“
Kirche als Ort des inneren Kampfes:
„Wenn ich mit mir kämpfe: ‚Warum bin ich noch im Orden? Noch in der Kirche? Nach all dem kritischen Denken und Studieren … Warum bin ich überhaupt noch dabei?‘ Da kann ich nur antworten: ‚Ich kann nicht anders‘.“
Nebenbei: Die Jesuitenkirche St. Peter in Köln, an der Friedhelm Mennekes lange Jahre Pfarrer war, hat aktuell eine Gemeindeerklärung herausgegeben, die ebenfalls Inspirierendes in sich hat: https://www.sankt-peter-koeln.de/wp/termine/erklaerung-der-gemeindegremien/.