Was gibt es heute?
Risse – oder: das Armutsgericht
Es gehen Risse durch die katholische Kirche in Deutschland. Dies zeigt der neue „MDG-Trendmonitor“ über „Religiöse Kommunikation 2020/21“. Nicht einmal mehr die Hälfte der Mitglieder (47%) dieser Kirche sagt von sich, sie sei ihr „eng verbunden“ und „gläubiges Mitglied“ (14%) oder fühle sich ihr „verbunden“, wenn auch kritisch (33%). Der Rest sagt: „Ich fühle mich als Christ, aber die Kirche bedeutet mir nicht viel“, steht also in Kirchendistanz (34%). Und der weitere Rest der katholischen Kirchenmitglieder? Sie stehen in noch größerer Distanz, können selbst mit dem Christlichen nichts anfangen (19%). Ja, ein großer Rest. So haben wir, grob gesehen, drei Gruppen: 1: die Engen (14%), 2: die Kritischen, 3: die Distanzierten (53%).
Risse zeigen sich insbesondere zwischen Jung und Alt: drei Viertel (74%) der 18- bis 29-Jährigen sind Distanzierte, von den über 60-Jährigen sind es ‚nur‘ 39 Prozent. 20 Prozent der 18- bis 29-Jährigen sind Kritische und 6 Prozent Enge. Von den über 60-Jährigen sind es 40 Prozent Kritische bzw. 21 Prozent Enge.
Doch noch deutlichere Risse zeigen sich zwischen den wohlhabenden und den armen Kirchenmitgliedern. Von den ausgesprochen Wohlhabenden – das sind die aus dem Milieu der Konservativ-Etablierten – rechnen sich 25 Prozent zu den Engen, 43 Prozent zu den Kritischen. Das sind mehr als zwei Drittel. Nur ein knappes Drittel (32%) sieht sich also bei den Distanzierten. Auch von der mittleren bis unteren Schicht der Wohlhabenden – das sind die aus dem Milieu der Traditionellen – rechnen sich 32 Prozent zu den Engen, 39 Prozent zu den Kritischen. Das sind deutlich mehr als zwei Drittel. Folglich sieht sich nicht einmal ein Drittel (29%) der Traditionellen bei den Distanzierten.
Total umgekehrt sieht es bei den wirklich Armen unter den Katholikinnen und Katholiken aus. Das sind die aus dem Milieu der Prekären: Mehr als zwei Drittel von ihnen (68%) rechnen sich zu den Distanzierten, während sich nur 8 bzw. 25 Prozent den Engen bzw. den Kritischen zuordnen lassen. Diese armen Katholikinnen und Katholiken zählen auch zu denjenigen, die selten oder nie einen Gottesdienst besuchen (68%). Dass die Kirche ‚vielen Menschen Orientierung gibt‘, dass sie sich ‚für soziale Anliegen engagiert‘, dass sie ‚Anwältin für die Schwachen und Unterdrückten ist‘, dass es in ihr ‚viele eindrucksvolle Menschen gibt‘ – das alles vermögen die armen Kirchenmitglieder kaum zu erkennen.
Wer ist das denn, wer sind die Prekären? Die MDG-Studie skizziert sie wie folgt: „Viele Angehörigen des Prekären Milieus leben in sozial und finanziell schwierigen Verhältnissen. Und viele fühlen sich aufgrund einer Kumulation von Defiziten (fehlende Ausbildung, Krankheit, familiäre Probleme, Arbeitslosigkeit) als Benachteiligte – ohne eigene Schuld. Die Wirklichkeit ist vom Kampf um das tägliche Überleben geprägt, die eigenen Gestaltungsmöglichkeiten sind gering, der Einzelnen ohnmächtig, und wer unten ist, hat wenig Chancen“. Offensichtlich auch wenig Chancen in der Kirche. Abgehängt auch beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), das alle Katholikinnen und Katholiken zu vertreten beansprucht. Auch die Synodalen Wege gehen an den Prekären vorbei. Sie sind dort kein Thema: nicht ihre Frauen, nicht ihre Männer, nicht ihre Ohnmacht, nicht ihr Sex. Die Kirche will „nahe bei den Menschen sein“. Es fragt sich nur: bei welchen?