Was gibt es heute?
Solar – oder das weihnachtliche Leuchtgericht

„Wenn man das innere Leuchten verloren hat und es auch nicht wiederfinden kann, dann wäre das das einzig Richtige, was man tun kann“, sagte jüngst die Weitspringerin Malaika Mihambo, die zum zweiten Mal Sportlerin des Jahres geworden ist. Das einzig Richtige, das meint sie, wäre mit dem Weitspringen aufzuhören, wenn das innere Leuchten aufhört.

Müsste auch nicht das äußere Leuchten aufhören, wenn es innerlich nicht mehr richtig läuft – zum Beispiel mit Advent und Weihnachten? Wenn sich immer mehr Menschen vom Christentum abwenden und es drinnen in den Kirchen, Pfarrhäusern und Klöstern dunkel bleibt, weil dort die letzten Lichter ausgeblasen und ausgeschaltet werden? Dagegen leuchtet es an den Wänden und auf den Balkonen der Miets- und Eigentumshäuser (Deutschland ist Schlusslicht: 58 Prozent wohnen zur Miete) immer mehr zur Advents- und Weihnachtszeit, je weniger Menschen an die Wiederkunft Christi und daran glauben, dass Gott in ihm einmal Mensch geworden war. Weil immer weniger Menschen an die Wiederkunft Christi glauben (das war allerdings schon bei den ersten Christ*innen ein Problem), was ja eigentlich im Advent Thema sein soll („O Heiland, reiß die Himmel auf“), schieben sie einfach Advent und Weihnachten in einem Lichtermeer zusammen und feiern, weil sie auch nicht mehr den Mensch gewordenen Gott glauben, vier Wochen lang ein Lichterfest. Manche nehmen schon vor dem 1. Advent Anlauf zum Weitsprung ins Licht. Weihnachten ein Lichterfest? Ein Fest der Sehnsucht nach Licht und Sonne?

Das kommt nicht von ungefähr, denn ohne inneren Anlass hatte die römische Kirche seinerzeit (im 4. Jahrhundert) das Fest der Geburt Christi vom 6. Januar auf den 25. Dezember gelegt. Da feierten nämlich Nicht-Christ*innen massenhaft das Sonnenfest, und nicht wenige Getaufte machten die Gaudi immer noch mit. Gefeiert wurde die ‚Geburt der Sonne‘, deren Reichweite seit diesem Termin wieder wächst (Wintersonnwende) und die Nacht wieder mehr zum Tag macht. Die ‚unbesiegbare Sonne‘, die immer wieder neu geboren wird, ist bis heute ein Faszinosum. Kaum etwas wird wohl mehr fotografiert als Sonnenuntergänge und Sonnenaufgänge.

Es gab eine antike Sonnenfrömmigkeit, eine regelrechte „Solartheologie“, auf der das christliche Weihnachtsfest mit aufbaut. Die Zunahme der Tageslänge, die um den 25. Dezember registriert werden kann, wurde im alten Ägypten als „Sonnengeburtstag“ interpretiert. Man kann sagen, so Martin Wallraff weiter: Das antike „Sonnenfest am 25. Dezember wird im Zusammenhang der generellen ‚Solarisierung‘ der religiösen Kultur im dritten oder in der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts entstanden sein“ (Martin Wallraff, Christus sol invictus. Sonnenverehrung und Christentum in der Spätantike, in: Jahrbuch für Antike und Christentum, Ergänzungsband 32/ 2001). Die ältesten Zeugnisse sowohl für den ‚natalis solis invicti‘ als auch für das christliche Weihnachtsfest kommen aus Rom, und zwar beide aus dem 4. Jahrhundert. Das heidnische Sonnenfest und das christliche Weihnachtsfest waren „parallele Erscheinungen“, so Wallraff weiter: Sie hatten aber beide „die Sonne als Bezugsgröße“.

Im Osten ist das Weihnachtsfest (25.12.) zögerlicher eingeführt worden – um 380. Dann aber als eine plötzliche Innovation, sozusagen zwischen Sonnenaufgang und -untergang. So konnte „die Illusion, alles sei ‚schon immer‘ so gewesen, nicht hergestellt werden“, schreibt Wallraff. In Alexandria und Jerusalem ist es erst im 5. Jh. eingeführt worden, in der Kirche Armeniens bis heute nicht. Die bleibt beim 6. Januar.

Johannes Chrysostomos (344-407) legitimiert die Zusammenführung des heidnischen Sonnenkultfestes und des christlichen Weihnachtsfestes wie folgt: „… Man nennt [den Tag] auch Geburtstag des Unbesiegten (invicti natalem). Wer aber ist so unbesiegt wie unser Herr, der den Tod unterwarf und besiegte“ (zit. n. Wallraff). Tod und Auferstehung sind wie der Untergang und der Aufgang der Sonne. Auffällig ist, dass liturgische Texte und Predigten damals häufig das Thema Sonne erwähnen. In mehr oder weniger geschickter Weise wird dabei im 4. Jahrhundert das heidnische Fest der neuen Sonne (sol novus) „aufgenommen, uminterpretiert und für die christliche Theologie in Beschlag genommen“, was „einerseits erlaubt, positiv an die pagane Tradition anzuknüpfen, andererseits dennoch spezifisch christliche Theologoumena einzubringen. Die Brücke für diese Strategie ist die Sol-Christologie, also die Bezeichnung Christi als die wahre Sonne oder – besonders häufig – als Sonne der Gerechtigkeit (Mal 3,20 aufnehmend).“ Dafür gibt es schon Spuren im 3. Jahrhundert: für die „Verwendung der Sonne als christologischen Titel“, so Wallraff weiter. Typisch ist „die Gedankenfigur der Überbietung“, ist doch die Sonne Geschöpf eines Höheren, in der Sonne verehrt man den Schöpfer. Man darf sie bewundern, aber nicht anbeten. Später (ab dem 5. Jh. schon bei Leo d. Gr.) wird auf Abgrenzung und Kampf umgeschaltet. Es gab nämlich immer noch Christinnen und Christen, „die den paganen Bräuchen […] anhingen“. Wallraff weiter: Der 25. Dezember als Termin für das christliche Weihnachtsfest habe sich auch deshalb durchgesetzt, weil „das Heidentum mit seinem Sonnenfest zurückging.“. Und „die Geburt Christi als Aufgang der wahren Sonne ging in Weihnachtsliedern und -hymnen in das Erbe der christlichen Kirche aller Orte und Konfessionen ein – bis heute“, so Wallraff. Der Sonngengesang des Heiligen Franziskus gehört dazu. Und Matthias Claudius, lässt er doch einen Philosophen fragen und die Sonne antworten:

„Sprich edler Stern am hohen Himmelszelt,
Wie wachsen dir die Strahlen wieder?
Wie wärmest du? Wie schmückst du Wald und Feld?
Wie machst du doch in aller Welt
Dem Diamant sein Licht, dem Pfau sein schön Gefieder?
Wie machst du Gold? Sprich liebe Sonn, ich wüßt es gern.
Die Sonne
Weiß ich’s? Geh, frage meinen Herrn.“

Heute scheint es umgekehrt zu sein. Alle Jahre mehr scheint sich das Sonnenfest durchzusetzen, unter der Etikette des christlichen Weihnachtsfests. Holen sich die neuen Heiden populistisch zurück, was den alten Heiden durch die populistische Kirche genommen wurde? Entkirchlichen sie wieder, was ehedem verkirchlicht wurde? Die ‚neuen Heiden‘ greifen freilich nicht nur die uralte Lichtsymbolik auf, sondern auch die Geburtssymbolik. Dabei ist ‚Weihnachten‘ allerdings zum Geburtstagsfest der Familien geworden. Wenn ein Kind geboren ist, stellt man einen Weihnachtsbaum auf (vorher eher nicht). An Weihnachten besucht man seine Eltern (umgekehrt eher nicht), die einen gezeugt, geboren und erzogen haben (oder man geht an ihr Grab). Auch die älter Gewordenen kehren dorthin (zurück), wo das eigene Leben begonnen hat. Die Familie, die in unserer Gesellschaft immer noch am Kurshimmel steht wie die Sonne im Sommer, feiert ihr Lichter- und Geburtstagsfest: ‚Wie schön, dass wir geboren sind, wir hätten uns sonst sehr vermisst“.

Gesellschaftliche Spaltung, auch und gerade an Weihnachten? Wie man es sieht. So gehören die Christinnen und Christen, die Weihnachten das sonnige Jesuskind feiern, und die Heiden, die Weihnachten einen Lichterkult begehen und, davon geblendet, den Herrn der Sonne ausblenden, doch alle irgendwie zusammen, vielleicht sogar in religiöser Hinsicht. Jedenfalls hat bereits 1907 der Soziologe Georg Simmel (Soziologie der Sinne) einmal vermutet: „Dass alle Menschen gleichzeitig den Himmel sehen können und die Sonne, das ist, wie ich glaube, ein wesentliches Moment des Zusammenschlusses, den jede Religion bedeutet. Denn jede wendet sich irgendwie, ihrem Ursprung ihrer Ausgestaltung nach, an den Himmel oder die Sonne, hat irgend eine Beziehung zu diesem Allumschließenden und Weltbeherrschenden.“ Frohe Weihnachten somit auch denen, die nichts mit Familie zu tun haben (wollen), die Anti- und Afamilalen, die Urlaub machen und einfach abhauen: in die Sonne.