Was gibt es heute?
Album – oder: Das Steilwandgericht

„Und alles, was ich tu‘, mache ich zum einen, weil der Weg zum Endprodukt, wie jetzt beim neuen Album, einfach der größte Spaß ist – und dieser output ist dann das andere“ – so vor gut einem Jahr Tom Neuwirth, der 2014 als Conchita Wurst mit einem Gesicht, das man aus der christlichen Jesus-Ikonographie kennt, den Euro-Song-Contest gewonnen hatte. Auf dem Synodalen Weg, der vor knapp einem Jahr begann, macht’s den Teilnehmerinnen und Teilnehmern schon jetzt keinen Spaß mehr, vom erwartbaren output ganz zu schweigen. Pardon: keine Freude mehr. Lustlosigkeit ist bei vielen auf dem Weg aufgekommen, und sie signalisieren inzwischen, schlapp zu machen. Pardon. Die Anführer*innen reagieren mit psychischer Gewalt. Pardon: Im innerkirchlichen Sprachspiel muss man, so eine Teilnehmerin, sagen: „Mein Herz ist jetzt sehr schwer“. Ja, Frustrationen wie versteckte Aggressionen greifen endemisch um sich und bringen die Karawane ins Stocken, nicht nur aus Gründen der Corona-Pandemie. Das war vorauszusehen und wurde vorausgesehen. Die Exit-Option, also die Karawane zu verlassen, wird an die Wand gemalt, gerade weil die Ausweglosigkeit des Synodalen Wegs vor Augen steht.

Fahrlässig wird erst jetzt im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) nach einer Strategie für den Synodalen Weg gerufen, weil Vision, Ziele (samt Etappenzielen), Projekte und Evaluationskriterien im Unklaren blieben und bleiben und auch externe Beratung die interne Selbstgewissheit hätte stören können. Ist eine erneuerte Kirche angestrebt oder eine neue – nicht mehr bischöfliche, sondern ‚partizipative‘ – Kirche? Wie geht der Synodale Weg mit den zahlreichen anderen Wegen der sogenannten Kirchenentwicklung zusammen, die in den Diözesen stattfinden, wie mit der ökumenischen Be-Wegung? Pardon: Auch ‚Strategie‘ ist kein Begriff aus dem kirchlichen Lexikon, deshalb auch nicht Strategiekompetenz. Man ist einfach auf dem Weg – eine wichtige Metapher des kirchlichen Lexikons.  Und kuschelig war’s dabei für viele bislang. Auf dem Synodalen Weg produziert man Texte – ja, das kann man in der Kirche, auch bei den organisierten Katholik*innen, obwohl niemand weiß, wer sie lesen soll, wie sie an den Mann und die Frau kommen und was diese damit anfangen sollen. Worte müssen Fleisch werden. Dienen sie der Reflexion, der Information, der Diskussion, als Vorlage für Entscheidungen? Es gibt in der Kirche kein geregeltes Verfahren, Eingaben auf die Agenda von Entscheidern zu setzen. Man konkurriert auch innerkirchlich um Aufmerksamkeit wie in der Gesamtgesellschaft. Gleicht Kirche eher einer Gesellschaft als einer Gemeinschaft oder Organisation? So gibt es in dieser Religionsgesellschaft auch kein Recht darauf, nicht ignoriert zu werden. Wenn – wie uns die Rezeptionsästhetik lehrt – ein Text erst durch die Leser*innen entsteht, existieren viele kirchliche wie ZdK-Texte nicht einmal. Auf den vielfältigen Strategieprojekten der sogenannten Kirchenentwicklung in den Diözesen dagegen werden Entscheidungen – von den jeweiligen Bischöfen – gesetzt und mehr oder weniger mit Rom abgestimmt. Und Schulen und Tagungshäuser werden geschlossen – auch ohne eine vereinbarte pastorale Strategie. Die ‚Strategie‘ – das ist der Bischof!

Auf den Synodalen Weg brach man auch ohne eine Widerstandsanalyse auf – und hat dann auch keine Strategie, mit Widerständen umzugehen, die ihn wie der Chor einer griechischen Tragödie begleiten. Und Widerstand kommt ja nicht nur von bestimmten Klerikern, sondern auch von Laientraditionalisten und – passiv – auch von denjenigen Kirchenmitgliedern, die zwar zahlen, aber nicht mit kirchlichen Amtsträgern interagieren. Auch eine Machtanalyse fehlt, obwohl doch der Synodale Weg gegen die institutionell verfestigten innerkirchlichen Machtverhältnisse, einschließlich der Geschlechterhierarchie, anrennt und ‚Macht‘ ein Lieblingswort der oppositionellen Katholik*innen – zumeist Laienintellektuelle – geworden ist. Ist nicht die Mehrheit der Laien, die sich auf den Synodalen Weg gemacht hatben, auf das kirchliche System angewiesen, weil sie von ihm – direkt oder indirekt – ihr ökonomisches Überlebenskapital, ihr symbolisches Kapital und ihr soziales Kapital beziehen? Sind sie von ihm nicht auch kulturell abhängig, weil ihre Biographie mit der Kirche verbunden, geradezu verklebt ist? Welches Drohpotential haben die Teilnehmer*innen des Synodalen Wegs, um Einfluss auf die Entscheider zu setzen, ihn wenigstens wahrscheinlich zu machen? Eine der wichtigsten Drohungen, die Exit-Option bezüglich des kirchlichen Systems, kommt für sie gar nicht Frage, weil sie ihre Kirche ‚lieben‘, die ihnen in Fleisch und Blut übergegangen ist. Auch die Akteure von Maria 2.0 schreiben ja, ihre Kirche auf gar keinen Fall verlassen zu wollen. Sie lieben ihre Kirche, wie sie ihre Kinder und Enkel lieben, die sie mit ihrem Protest – vergeblich – an die Kirche binden wollen. So sind sie innerlich zerrissen. Jene biographische Verschmelzung scheint ihnen zu verbieten, protestantisch oder altkatholisch zu werden, da liegt ihnen die biographische Reibung an der katholischen Sexuallehre – der Einheit von Sexualakt und Fortpflanzung – schon näher, die ja – offiziell – noch gültig, aber – faktisch – nicht mehr geltend ist: Als Papiertiger leitet sie weder das Verhalten (Verhaltensgeltung), noch – bei Verstoß – Sanktionen an (Sanktionsgeltung). 

Auch das ZdK und die mehr als einhundert katholischen Laienorganisationen, die diesen Zusammenschluss mittragen, sind von bischöflichem Geld abhängig, den – in einem institutionalisierten staatskirchlichkapitalistischen Komplex – freilich die berufstätigen Laien aufbringen. Die deutschen Bischöfe monopolisieren nicht nur die Heilswahrheiten und Heilsgüter, sondern auch den Geldsegen. Hinter der Protestbühne des organisierten Laienkatholizismus führen die Bischöfe Regie – mal heißt das Stück Würzburger Synode, mal Dialogforum, mal Synodaler Weg. Diese kirchlich organisierten Ventilsitten ermöglichen – wie Karneval – Dampf abzulassen und die institutionellen Machtverhältnisse zu stabilisieren. So bleibt den organisierten Laien, wenn sie die Wahl der Exit-Option fürchten, nur die Voice-Option – ob ihnen Reden und Einreden Spaß macht oder nicht.

Noch weniger wurde beim Start des Synodalen Wegs eine personelle Ressourcenanalyse erstellt; denn schon jetzt zeigen sich Erschöpfungszustände. „Wir ringen alle um unsere Zeit und Lebenszeit“, meinte kürzlich eine Teilnehmerin des Synodalen Wegs. Die einen Teilnehmer*innen gehen ihn ehrenamtlich, also freiwillig und unentgeltlich, haben also noch etwas anderes zu tun, als die kirchliche Institution zu stabilisieren. Ihr Fokus liegt auf dem kirchlichen Gemeindebetrieb vor Ort, der ihnen näher ist als die Institution und häufig auch Entlastung von den – teilweise skandalösen – kirchlichen Großereignissen bietet. Kirche hat viele Falten, in die man sich hineinkuscheln kann. Auch dort gibt es viel zu tun, stehen Zumutungen und Umbauten an, wächst der Frust wie die Überforderung, bleibt der Nachwuchs aus. Was soll man noch alles tun?

Zeitlich begrenzt, multipel abhängig vom Kirchensystem mit seiner ihm eigenen Widerstandskultur, ohne Strategie und ohne Drohpotential ist der Synodale Weg schon jetzt an einer Steilwand angekommen. „Als leidenschaftlicher Bergsteiger möchte ich es mal so formulieren“, meinte Kardinal Kasper 2005, als er ein Interview (Focus vom 13.08.2005) zum Stand der ökumenischen Bewegung gab: Wir sind auf unserem Weg „an der Steilwand angekommen. Und diese Steilwand ist die apostolische Sukzession, also das Dogma, demzufolge jeder Bischof in direkter Nachfolge der Apostel steht. Die protestantischen Kirchen“ – Kardinal Kasper spricht immerhin von den protestantischen „Kirchen“! – „konnten diese Form von apostolischer Nachfolge aus historischen Gründen nicht bewahren und halten sie auch nicht für so entscheidend“. Dieses Dogma bringt auch die Karawane des Synodalen Wegs ins Stocken.

Ja, so ist es, römisch-katholisch zu sein. Die Selbstorganisation des kirchlichen Lebens ist begrenzt. Für Selfies der Teilnehmer*innen an den diversen Wegen vor der immergleichen Steilwand reicht’s für’s gemeinsame katholische Familienalbum aber immer. Mehr output ist an der katholischen Steilwand nicht haben.