Was gibt es heute?
Edler Hirscher – oder: Das Synoden-Gericht

Während diejenigen, die glauben, den deutschen Katholizismus zu repräsentieren, mal wieder einen Synodalen Weg in Frankfurt am Main beschreiten, sitze ich zu Hause und lese Hirscher. Da war doch was, 1849 schon, also vor fast 175 Jahren!

In seiner lesenswerten Schrift über „Die kirchlichen Zustände der Gegenwart“ von 1849 fordert Johann B. Hirscher eine Kirchenreform, seinerzeit nicht angestoßen durch sexuellen Missbrauch, sondern durch die Revolution von 1848, ebenfalls in Frankfurt. Die dadurch in Reichweite gerückte Entkoppelung der Kirche vom Staat fordere von der Kirche, in Zukunft auf eigenen Beinen zu stehen, meinte Hirscher, ohne die schützende (und quälende) Hand des Staates. Nun hätten sich alle Glieder der Kirche – die Beine, die Füße, die Hände, die Herzen – gleichsam synodal zusammenzureißen, um die Kirche in Bewegung zu bringen, weil sie ja „völlig freie Bewegung hat“ (S. 4), damit „das Christenthum in allen Klassen der Gesellschaft lebendig werde“ (S. 2).

„Derselbe Geist, welcher sich auch auf dem politischen Gebiete geltend macht, macht sich geltend auch auf dem kirchlichen. Wie dort, so hier will man in seinen öffentlichen Anliegen mitsprechen […] Reine Monarchien sind eine Unmöglichkeit der Zeit geworden. Aehnlich in der Kirche“ (S. 26f). Tatsächlich sprach Hirscher damals schon von Synoden, in denen die Laien mit dem Klerus zusammenkommen, mit ihm kooperieren, statt ihn zu hofieren. Sie sollten an der Leitung der Kirche mitwirken; denn „umsonst rechnet man auf kindlichen Gehorsam der Laien gegen die Beschlüsse der geistlichen Oberen“, schreibt Hirscher. „Die Zeit dieses Gehorsams ist leider vorbei; und der Laie gehorcht zur Zeit jenen Anordnungen und Gesetzen, bei deren Erlaß er selbst mitgewirkt und von deren Begründetheit er sich überzeugt.“ (S. 40f). Es gelte, nicht die Masse, sondern „die besten Kräfte der Laien für die kirchlichen Interessen (zu) gewinnen“ (S.29).

Wenn der Bischof erklärte, „daß die Versammlung wohl berathen auch Wünsche vorlegen, nicht aber Beschlüsse fassen dürfe, so müßte das alle warme Theilnahme, alle Begeisterung für das Institut von vorn herein ertödten. Man interessirt sich nur für das, worüber man wesentlich mitzusprechen hat, und greift mit Lust und Ernst nur da an, wo man sein Gewicht und seine Verantwortlichkeit vor Augen hat. Um Aufschwung aber, um das Aufgebot der in der Kirche vorhandenen Kräfte, um ein kräftiges Zusammenstehen derselben handelt es sich ja, und aus der Bewegung und Rührigkeit wird nicht Verderbliches kommen“ (S. 30). So sollten die Laien – nur Männer damals noch – auch gesetzgeberische Befugnisse haben. Die Beschlüsse sollten freilich der Zustimmung der Bischöfe bedürfen, die – anders als die Idee des ‚Synodalen Rats‘ auf dem Synodalen Weg – nicht überstimmt werden können.

Aber die Bischöfe könnten und müssten durch die Synoden kontrolliert werden, meinte Hirscher:  „Die kirchliche Regierung darf nicht ohne Controle sein“ (S. 33). Und er meinte damit keine hierarchische Kontrolle von oben, sondern von der Seite, eine von Augenzeugen geübte Controle“ (S: 33). Und er geht noch einen Schritt weiter und fordert, dass die Diözesansynode auch die Funktion eines kirchlichen Strafgerichts – eines „Ruggerichts“ – ausüben solle: „Unbestreitbar ist, daß es der kirchlichen Disziplin einen mächtigen Vorschub geben würde, wenn Pflichtvergessene und unsittliche Geistliche vor die Synode gerufen, daselbst abgeurteilt und in geeigneten Fällen von der kirchlichen Gesammtheit ihrer Stellen entsetzt, oder wohl gar aus der Liste der Brüder gestrichen würden“ (S. 36). Unsittliche Geistliche kannte man damals schon. Jedenfalls brauche die Kirche eine auch von Laien mitgetragene „Macht zur Behauptung ihres Ansehens gegen Ungehorsame“ (S. 37). So revolutionär sind die Forderungen des heutigen Synodalen Wegs noch lange nicht.

Hirschers Buch (und noch ein zweites) war nach seinem Erscheinen – erwartbar – auf den römischen Index gesetzt worden, weil seine Forderung nach Teilhabe der Laien am Kirchenregiment eine für die Zeit vor bald 175 Jahren unerhört  war und bis heute unterhört blieb. Den Index librorum prohibitorum gibt es nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil nicht mehr. Doch Rom hat ihn überlebt und Hirscher auch. Der liegt auf dem Alten Freiburger Friedhof begraben.

Damals folgten die Laien nicht Hirscher, sondern sie unterwarfen sich den kirchlichen Autoritäten mit Blick nach Rom – auf den Katholikentagen: Zum Beispiel 1848, ganz in der Nähe von Frankfurt, in Mainz: „Wir erkennen im tiefsten Glauben die Geltung einer lehrenden Kirche: hier haben wir nicht unsere Meinung entgegenzusetzen, sondern in freier gläubiger Überzeugung anzunehmen“. Die heutigen Laien in Frankfurt wollen heute dem vitalisierenden Hirscher folgen. Rom gibt es immer noch.