Was gibt es heute?
Heiße Luft – oder das Ostergericht

Während ein Freiburger Pfarrer die Kirche mit einer „Kleingartenanlage“ vergleicht, die bis heute „grenzenlos, immer bunter und vielfältiger“ wächst, natürlich zur Freude Gottes („Ich glaube, Gott hat seine Freude daran“), und sich darin – wohl als Untergärtner – in einem Ensemble von „vielen Obergärtnern und Untergärtnern und Hilfsgärtnern“ sieht, freilich unter einem „Chefgärtner auf Lebenszeit“, vergleicht einer der deutschen Obergärtner die Kirche mit einem stinkenden Haus. Die bloß flüchtigen Wohlgerüche werden überlagert von diversen Gerüchen, darunter der „Gestank der Sünde“ des Missbrauchs, der  „ätzende Geruch der Kirchenkritik“, durchmischt vom „strengen Geruch der Reinigungsmittel“. Das Haus müsse, so der Bischof von Würzburg weiter, „gründlich gelüftet werden, soll es jemals wieder bezugsfertig sein“. Aber was soll es heißen, die schlechten Gerüche zu entfernen? Wer soll es machen, wer fängt an und bestimmt das Ende? Der Hausmeister oder der Bischof als Hausherr? Umbauten oder Anbauten sind mit der fluffigen Metapher des Lüftens offensichtlich nicht gemeint. Soll die Kirche in eine luftige Kleingartenanlage verwandelt werden? Ist die Kirche nicht schon eine luftige Ruine geworden, das heißt ohne Dach? Viel Luft nach oben. Bereits der Blick des Bischofs auf ihre Fassade, „die an allen Ecken zu bröckeln begonnen hat“, zeigt ja, dass Lüften nicht reicht. Vorbei scheinen die Zeiten zu sein, dass Katholiken wie Katholikinnen in kollektiver Ekstase das Lied „Ein Haus voll Glorie, schauet“ schmetterten: „Gott, wir loben dich, Gott, wir preisen dich, o lass im Hause dein uns all geborgen sein!“ Vorbei sind auch die Zeiten, in denen „Kirche und Familie zusammen den einen Gottestempel der christlichen Erziehung“ bilden, wie einmal ein früherer Chefgärtner (Papst Pius XI.) sagte. Lüften reicht nicht. Äpfel mit Birnen vergleichen auch nicht.

Bereits Papst Benedikt XVI. hatte ein „Priesterjahr zum Anlass der Reinigung aufgefasst“. Er hatte „plötzlich so viel Schmutz“ in der Kirche gesehen, angesichts dessen man besser nicht lüftete; denn „es war wirklich fast ein Vulkankrater, aus dem plötzlich eine gewaltige Schmutzwolke herauskam, alles verdunkelte und verschmutzte, so dass vor allen Dingen das Priestertum plötzlich als ein Ort der Schande  erschien … Das Priestertum plötzlich so verschmutzt zu sehen, und damit die katholische Kirche selbst, in ihrem Innersten …“. Es mag ja von den Höhen eines ‚Chefgärtners‘ aus gesehen naheliegen, eine solche „Kirchen-Schmutz-Perspektive“ einzunehmen und eine „dualistische Rhetorik zwischen Reinem und Verschmutztem“ (Ottmar Fuchs) zu pflegen. Und während sich die ‚Untergärtner‘ freudig in den Düften der Kleingartenanlage tummeln, mag es ja für einen ‚Obergärtner‘ mutig sein, die Kirchen-Schmutz-Perspektive um eine Kirchen-Gestanks-Perspektive zu erweitern – mehr als ein Jahrzehnt später. Aber solche Metaphorik aus der Kiste theologischer Lyrik begünstigt eine – auch das Leid der Opfer – verdeckende Sprache. Sie entbehrt der analytischen Klarheit ebenso wie das Dauergerede über die sogenannten ‚systemischen‘ Zusammenhänge der sexuellen Gewalt in der Kirche.

„Ein Haus voll Glorie schauet …“. In der alten Fassung dieses katholischen Kampflieds hießen die 5. und 6. Strophen: „Dem Sohne steht zur Seite die reinste der Jungfraun, um sie drängt sich zum Streite die Kriegsschar voll Vertraun. Viel tausend schon vergossen mit heil’ger Lust ihr Blut, die Reihn stehn fest geschlossen in hohem Glaubensmut“. Auch in anderen Kontexten wird nicht von schrecklichem Leiden gesprochen, sondern von ‚sauberen Bomben‘, deren Einschläge bloß ‚Fußstapfen‘ hinterlassen. Die erste Atombombe wurde als ‚Baby von Oppenheimer‘ bezeichnet. Die Wasserstoffbombe hieß ‚Teller’s Baby‘. Die Bombe von Hiroshima nannte man ‚Kleiner Junge‘. Die Nuklear-Elite, die diese verdeckende Sprache pflegt, „herrschte gefühlsmäßig über Leben und Tod der Menschheit, nahm die Rolle einer Art Priesterschaft ein“, schreibt Klaus Feldmann („Tod und Gesellschaft“, 2010), und ergänzt: „Der erste Atombombentest wurde ‚Trinity‘ genannt“.

Was für Sprech-Bilder überall! Sie erschweren ‚Aufklärung‘. Sie verhübschen die Lage der Kirche, verwandeln Leiden in Lust und Luft. Sie verhindern analytische Präzision und blockieren vernünftige Entscheidungen. Im Mittelhochdeutschen soll ‚lüften‘ auch ‚in die Luft heben, in die Höhe heben, aufheben, emporheben‘ heißen. Im Südwesten sind Synonyme für ‚lüften‘: ‚sich erheben‘ oder ‚aufstehen‘. Klingt fast wie auferstehen. Gesegnete Ostern, auch den orthodoxen Christinnen und Christen in Russland. Mögen auch sie, bevor sie auferstehen, aufstehen – spätestens am 24. April 2022.