Was gibt es heute?
KriKo – oder: das Schwarzweißgericht
Krise ist gut, Konflikt böse? Wer sagt denn so etwas – und in welchem Kontext? Der Apostolische Nuntius in Deutschland hat das gesagt, und zwar in seinem Grußwort bei der digitalen Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz 2021. Ja, episkopal geht digital, aber keiner hat offensichtlich widersprochen – keine gibt‘s nicht. Denn gerichtet ist das Grußwort ja an die „Eminenzen, Exzellenzen, liebe[n] Mitbrüder im bischöflichen Dienst!“. „Mitbrüder“ sind bekanntlich nicht alle Brüder, und „alle Brüder“ (tutti fratelli) sind nicht alle Geschwister.
Alle Brüder und Schwestern können es trotzdem auf der Homepage der Deutschen Bischofskonferenz lesen. Und alle können dort lesen, dass der päpstliche Bote die deutschen Bischöfe gleich am Anfang mit LK 14,10 mahnt, „den untersten Platz“ einzunehmen. Wenn die Manager schon unten sitzen (sollen): Wo hocken dann die anderen Brüder, frage ich mich, denn die Mahnung soll „für alle Christen“ gelten? Ganz unten? Und wo bleiben schließlich die Schwestern, die ungenannten Christinnen? Ganz, ganz unten? Oder draußen?
Liest man weiter, geht’s drinnen – im Grußwort – drunter und drüber: Auch Deutschland sei ja „von dieser weltweiten Krise betroffen, die durch das Corona-Virus verursacht wird und negative Folgen im sozialen und wirtschaftlichen Bereich hat. Das spiegelt sich auch in der Kirche wider, die weiterhin Schwierigkeiten hat, in einem neuen Aufbruch der Evangelisierung angemessene Antworten auf die Ausbreitung des Säkularismus, das schmerzvolle Thema des sexuellen Missbrauchs sowie die fortdauernden Kirchenaustritte zu finden“. Wie bitte? Römisches Allerlei? Man nehme Corona, gemischt mit etwas Säk‘, dann Miss‘ und Aus‘?
Tatsächlich befände sich die katholische Kirche in Deutschland „in einer Krise“, und diese Krise müsse „akzeptiert und angenommen“ werden. Denn Krisen seien biblisch, das Evangelium bezeuge es und bringe selbst in eine Krise. Eine Krise hätte „im Allgemeinen einen positiven Ausgang […], insofern sie die Möglichkeit zum Wachstum bietet“. Krisenzeit sei „eine Zeit des Heiligen Geistes“. Dagegen allerdings bleibe „der Konflikt negativ, denn er bringt ‚immer Auseinandersetzung, Wettstreit und einen scheinbar unlösbaren Antagonismus (hervor), bei dem die Menschen in liebenswerte Freunde und zu bekämpfende Feinde eingeteilt werden, wobei am Schluss nur eine der Parteien als Siegerin hervorgehen kann‘“, zitiert der Nuntius seinen Entsender, den Papst. „Nur“ eine der Parteien werde Siegerin, und das sei „immer“ so? Ist nicht auch der Konflikt biblisch? Erzeugte nicht schon die Jesusbewegung eine Konfliktdynamik, ohne die es kein Christentum geben würde? Und ist sie nicht auch Beleg dafür, dass Konflikt und Krise zusammengehen können? Die Christentumsgeschichte ist nicht nur eine Krisen-, sondern auch eine Konfliktgeschichte. Müssen Verteilungskonflikte um knappe Impfstoffe Verlierer produzieren? Gibt es – statt Verlierern und Siegern – nicht auch Konsens als Ergebnis von Konflikten? Weshalb nur betreibt der Nuntius zusammen mit dem Papst eine solche Schwarzweißmalerei – hier gute Krise, dort böser Konflikt – und differenziert nicht stärker nach Konflikttypen, etwa nach banalen und basalen Konflikten? Selbst basale Konflikte, also solche, welche die Basis, die Fundamente, den Sinn einer Beziehung berühren, müssen ja nicht ‚immer‘ und ‚nur‘ so ausgehen, wie der Papst und sein Bote meinen. Können Konflikte nicht sogar Zusammenhalt stiften, also förderlich sein für die sogenannte „Einheit“, die immer wieder und so auch im Grußwort beschworen wird? Das ist jedenfalls die These der soziologischen Klassiker (von Georg Simmel bis Lewis Coser), die in Rom wohl noch nicht angekommen ist. Dort dilettiert man lieber, statt sozialwissenschaftlichen Einsichten zu folgen, und verliert so an Autorität.
Übrigens begibt sich die Deutsche Bischofskonferenz in einen – weiteren – Konflikt mit Rom, wenn ihr Sprecher so tut, als hätte der Nuntius etwas anderes gesagt. Dort scheint man dessen Unterscheidung von Krise und Konflikt verwischen – vertuschen? – zu wollen, wenn man über das Grußwort des Nuntius schreibt: „Bei allen Schwierigkeiten und Herausforderungen, die es gibt, ermutigte er uns mit den Worten von Papst Franziskus, die Krise als eine Gelegenheit zum Wachsen wahrzunehmen. Krisen und Konflikte müssten angenommen werden, so der Nuntius, um sie bewältigen zu können“. Das aber hat der Bote des Papstes gerade nicht gesagt!
Für die Kirche, so dramatisiert der Nuntius mit dem Papst stattdessen nämlich weiter, sei „der Konflikt besonders schädlich“; dann „fragmentiert, polarisiert, pervertiert man sie; man verrät ihr wahres Wesen: Sie ist ein Leib, der fortwährend in der Krise ist, gerade weil er lebendig ist, aber sie darf niemals zu einem Leib werden, der in einem Konflikt mit Siegern und Besiegten steht“. Immer klarer wird (mir), weshalb Verantwortliche in der katholischen Kirche Konflikte dem Reich des Bösen zuordnen – ganz anders als in anderen gesellschaftlichen Feldern, wo der Konflikt sogar – wie in der Politik – gewissermaßen ‚einverleibt‘ und institutionalisiert ist und konstruktiv als Korrektur wirkt: Zum einen fehlt den Verantwortlichen in der Kirche die sozialwissenschaftliche Kompetenz zur differenzierten Erfassung von Wirklichkeiten. Zum anderen haben sie stillgelegte Bilder, die der Komplexität des heutigen gesellschaftlichen Lebens außerhalb wie innerhalb der Kirche nicht angemessen sind, ja dessen Wahrnehmung blockieren. Neben diesen (und anderen) Kulturproblemen gibt es Strukturprobleme. Eines davon ist: Es fehlt der Kirche ein institutioneller Ort, an dem innerkirchliche Konflikte konstruktiv, d.h. nach vereinbarten Verfahrensregeln, ausgetragen, statt unterdrückt und ignoriert werden. Wer eine solche Arena strukturell nicht vorhält, um Konflikte einzuhegen und zu bearbeiten, muss sie ins Negative verkehren.
Wenn es „nötig“ sei, wie der Nuntius mit dem Papst sagt, „sich der Neuheit zu öffnen, zu welcher der Heilige Geist durch die Krise führt“, könnten sich die Verantwortlichen in der Kirche ja spirituell auch für einen neuen kircheneigenen Ort der inspirierten Austragung von Konflikten öffnen. Das geht freilich dann nicht, wenn Konflikte, die momentan die Kirche massiv und spaltungsintensiv erschüttern, moralisch abwertet werden. Konflikte erschüttern nicht, weil sie als solche böse sind oder „Gelegenheit für das Böse“ bieten, wie es im Grußwort heißt. Sie erschüttern vielmehr, wenn sie keinen Rahmen erhalten, um konstruktiv wirken und bearbeitet werden zu können. Die Kirche braucht eine strukturelle Fortbildung (‚aggiornamento‘).