Was gibt es heute?
Mladi-Früchte – oder: das Erscheinungsentscheidungsgericht

Schon immer befürchtet der Klerus der römisch-katholischen Kirche, dass die religiöse Kommunikation aus dem Ruder laufen könnte. Und so bekämpft er auch Hexen und Zauberer, also die religiösen Kleinunternehmer*innen auf eigene Rechnung, sowie das persönliche Charisma von Visionären und Propheten. Es geht um Marktanteile an den Kunden im religiösen Feld, das die Kirche zu monopolisieren bestrebt ist. Ihr geht es um die Sicherung der Dominanz des klerikalen Amtscharismas, das die Masse der Laien kontrollieren und nicht an die Gefolgschaft charismatischer Führer von Laien verlieren will. Laien sollen nicht Laien führen. Eine Eminenz dieser institutionalisierten Massenreligion, Gerhard Ludwig Kardinal Müller, hat 2015 von dem für sie gefährlichen und „eigenartigen Phänomen“ berichtet, dass „die Zahl der Marienerscheinungen explodiert ist“.

Eine Megaexplosion dieser Art fand vor gut 40 Jahren statt und hat sich seitdem zum „Problem von Medjugorje“ (Papst Franziskus) ausgeweitet. Aus einem Unbehagen, weiß die ‚Problemsoziologie‘, können erst dann ‚Probleme‘ werden, wenn es von vielen bestätigt und institutionell bearbeitet wird. Vieles an Unbehagen in der Kirche bleibt nur Unbehagen, weil es nicht bearbeitet wird. Das Unbehagen von Medjugorje, das seit 1981 mit „Erscheinungen der Muttergottes“ begann (Tito war 1980 gestorben), die durch 6 Kinder Botschaften funkt, ab 1984 jeden Donnerstag und ab 1987 an einem monatlichen Jour fixe, wurde seitdem durch mehrere und immer wieder neue kirchenoffizielle Kommissionen administrativ problematisiert. 2015 hatte der Papst auf einer fliegenden Pressekonferenz dann gesagt: „Über das Problem von Medjugorje hat Papst Benedikt XVI. seinerzeit eine Kommission gebildet unter dem Vorsitz von Kardinal Camillo Ruini; es waren auch noch andere Kardinäle, Theologen und Fachleute dabei. Sie haben die Untersuchung durchgeführt, und Kardinal Ruini ist zu mir gekommen und hat mir die Ergebnisse überreicht, nach langer Zeit – nach mehr oder weniger drei bis vier Jahren, ich weiß es nicht genau. Sie haben eine bedeutende Arbeit geleistet, eine bedeutende Arbeit. Kardinal Müller [Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre] hat mir gesagt, er werde in dieser Zeit eine „Feria quarta“ [eine eigens dazu bestimmte Versammlung] abhalten; ich glaube, sie hat am letzten Mittwoch des Monats stattgefunden, aber ich bin nicht sicher… [Anm. von P. Lombardi: Tatsächlich hat noch keine diesem Thema gewidmete Feria quarta stattgefunden]“. Und der Papst sagte weiter: „Wir sind nahe daran, Entscheidungen zu treffen. Sie werden dann bekanntgegeben. Für den Augenblick werden nur einige Orientierungen an die Bischöfe gegeben, aber in der Richtung, die eingeschlagen wird. Danke“ (https://www.vatican.va/content/ francesco/de/speeches/2015/ june/documents/papa-francesco_20150606_sarajevo-conferenza-stampa. html).

Inzwischen scheinen die sich hinziehenden Problematisierungen abgeschlossen und die Entscheidungen des Heiligen Vaters zugunsten der sich ebenfalls hinziehenden Dauererscheinung der heiligen Mutter Maria, der Gospa, gefällt zu sein. Papa und Gospa scheinen sich neu arrangiert zu haben. Denn bisher hieß es immer: „Alle bisherigen offiziellen Aussagen der Kirche zu den Erscheinungen von Medjugorje sind nur vorläufig. In kluger Weise behält sich die Kirche aber ausdrücklich das Recht vor, eine endgültige Bewertung der Glaubwürdigkeit der Erscheinungen zu einem späteren Zeitpunkt vorzunehmen. Sie verpflichtet die Gläubigen vor diesem Hintergrund alles zu vermeiden, was den Eindruck erwecken könnte, eine solche Entscheidung sei bereits gefallen oder die Echtheit der Erscheinungen stehe bereits fest“, so ein Kaplan, der auch Müller heißt (https://www.medjugorje.de/medjugorje/kirche-zu-medjugorje/aussagen/an-medjugorje-scheiden-sich-die-geister/).

„Sei bei einer Erscheinung live dabei“ – Gospa-Events mit diesem Slogan hatte noch 2013 Kardinal Müller mit der Begründung absagen lassen, „dass es Katholiken nicht erlaubt ist, an Veranstaltungen teilzunehmen, bei denen die Glaubwürdigkeit der Erscheinungen von Medjugorje als gegeben angenommen wird“ (ebd.). Andere Eminenzen – so Kardinal Schönborn – pilgerten dagegen nach Medjugorje und luden die Seher zu sich ein. Auch Kardinal Bergoglio soll in seinem Erzbistum noch wenige Wochen vor seiner Wahl zum Papst ein Event mit dem Gospa-Seher Ivan im Luna Park von Buenos Aires genehmigt haben. 2017 berichtet Seine Eminenz, Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, dass er „auf eine große Gruppe argentinischer Pilger, die nach Međugorje unterwegs waren“ traf, und kommentiert jene Untersuchungskommission: „Natürlich gibt es neben der Frage nach dem übernatürlichen Charakter der Ereignisse auch die Frage der Pastoral in Međugorje, und das interessiert uns zurzeit am meisten (!)“. Begründung: „da viele (!) Menschen an diesen Ort pilgern“. Unumwunden sagt er: „Folglich war es der Wunsch des Heiligen Stuhls, zu helfen (!), dieses Phänomen zu regulieren (!), damit die Gläubigen, die dorthin kommen, besser (!) auf das Wort Gottes hören, die Sakramente (!) feiern und eine authentische (!) Erfahrung des Glaubens machen können.“ Angesichts des „beträchtlichen Zustroms nach Medjugorje und der reichen Früchte der Gnade, die daraus entstanden sind“, hat dann Papst Franziskus 2019 die Lizenz erteilt, dass „ab sofort“ die kirchlichen Grenzen geöffnet werden und kirchenoffizielle Formationen zur Gospa wallfahren dürfen. „… weil ich so viele gute Früchte sehe …“ – damit hatte schon Kardinal Schönborn 2017 Medjugorje legitimiert.

Dazu passt die himmlisch-infantile Botschaft der Gospa von Medjugorje vom 25. Juli 2021. Sie wurde wie immer am Offenbarungs-Jour-fixe und somit rechtzeitig zum internationalen 32. Jugendfestival (‚Mladi‘) gesendet, das, von zahlreichen Eminenzen und Exzellenzen legitimiert und hunderten von Trägern klerikalen Amtscharismas hierarchisch sekundiert, mit Tausenden von Teilnehmern (gegendert wird dort nicht) aus mehr als einhundert Ländern stattfand. Am 06. August ging das Festival zu Ende, gerahmt von einer römischen Grußbotschaft des Heiligen Vaters und gewärmt von der pünktlichen Grußbotschaft der himmlischen Mutter: „Ihr, meine lieben Kinder, seid großzügig und die Liebe meiner Liebe, damit die Heiden spüren, dass ihr mein seid und sich zu meinem Unbefleckten Herzen bekehren. Danke, dass ihr meinem Ruf gefolgt seid!“. So integriert das kirchliche Amtscharisma das persönliche Charisma von Visionären und Propheten und ihren Anhängern (nicht erst heutzutage). Es sind Laien, und zwar der Kategorie des ‚Laientraditionalismus‘ und der ‚Laienprophetie‘, nicht: des ‚Laienintellektualismus‘. Letzterer irritiert und bringt ja keine Massen hervor, ersterer schon. Dieser pariert und ist relevant, um sich Marktanteile im religiösen Feld zu sichern: „dass ihr mein seid“.